Beispiel Start-Up - Durchbruch in der Diagnostik bei unerklärbarer männlicher Unfruchtbarkeit
Wir sind die Arbeitsgruppe „Molekulare Reproduktionsphysiologie“ um Professor Timo Strünker am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie – und wir haben uns der wissenschaftlichen Enträtselung der „unerklärbaren männlichen Unfruchtbarkeit“ verschrieben. Davon spricht man, wenn Männer keine Kinder zeugen können, aber die medizinische Diagnostik nicht in der Lage ist, eine plausible Ursache dafür zu finden. Für Betroffene hat dies mitunter dramatische Folgen. Wenn sich nämlich keine Ursache für eine Fruchtbarkeitsstörung finden lässt, fehlt Ärztinnen und Ärzten die Faktengrundlage für die Auswahl einer maßgeschneiderten, möglichst erfolgversprechenden Kinderwunschtherapie.
Eingebettet in die seit 2017 von der DFG geförderte Klinische Forschungsgruppe 326 und in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie, dem Kinderwunschzentrum sowie dem Institut für Reproduktionsgenetik des Universitätsklinikums Münster ist uns bei der Lösung dieses Rätsels ein Durchbruch gelungen: Unser interdisziplinäres Team mit Physiker Dr. Christoph Brenker, Biochemiker Dr. Christian Schiffer und Bioingenieur Dr. Samuel Young konnte zeigen, dass ein Teil der „scheinbar unerklärbar“ unfruchtbaren Patienten tatsächlich aufgrund eines Defekts des sogenannten CatSper-Proteins keine Kinder zeugen kann.
CatSper ist gewissermaßen der „Schlüssel zum Ei“, indem das Protein das Durchdringen der zähen Eihülle kontrolliert – ein unentbehrlicher Schritt auf dem Weg zum Kind. Wenn Spermien aus eigener Kraft nicht durch die Eihülle stoßen können, bedarf es einer ICSI-Therapie im Kinderwunsch-Labor, bei der sie mit einer feinen Glaspipette direkt in das Ei hineinplatziert werden. Erst so bietet sich betroffenen Paaren dann die Chance auf Nachwuchs.
Diese Erkenntnis gewissermaßen „über die Tischkante unserer Laborbank hinaus“ in die klinische Anwendung zu tragen, war allerdings alles andere als einfach: CatSper ließ sich mit keiner bis dato bekannten diagnostischen Methode untersuchen. Unter der Leitung von Dr. Schiffer hatten wir daher die Aufgabe, mit einem routinediagnostisch anwendbaren CatSper-Test die Patientenversorgung in Andrologie und Reproduktionsmedizin zu optimieren, zu unserem Ziel erklärt. Es galt, die hoch komplexe Funktion des Proteins ganz einfach auslesbar zu machen – mit den Mitteln, die diagnostischen Samenanalyse-Laboren zur Verfügung stehen. Gelungen ist uns dabei der zweite Durchbruch. Wir haben das auf den ersten Blick vielleicht eindrucksvollste Spermienverhalten, nämlich ihr Schwimmen, mithilfe einer speziell formulierten Testlösung zu einem Ausleseparameter für die CatSper-Funktion umfunktioniert. Unter dem Mikroskop wird das Ergebnis sichtbar: Schwimmen die Spermien in der Testlösung weiter, ist das ein klarer Hinweis auf einen CatSper-Defekt.
Für die klinische Diagnostik ist der Test damit so einfach durchzuführen wie „1,2,3“, um es mit den Worten von Dr. Young zu sagen, der die Rezeptur der Testlösung zunächst in seiner Doktorarbeit und später im Team von Dr. Schiffer so optimierte, dass sie in klinischen Studien mit hunderten Patientenproben immer wieder zuverlässig und sicher funktioniert. Um uns für die Forschungs- und Entwicklungsgelder zu qualifizieren, mit deren Hilfe wir die CE-Zertifizierung als Medizinprodukt bewerkstelligen konnten, galt es allerdings, unsere Testlösung gegen Nachahmer zu schützen.
Genau hierbei hat sich Clinic Invent als starker Partner in der Universitätsmedizin Münster unserem Projekt angenommen: Von der Erfindungsmeldung bis hin zu Patentanmeldungen in der EU, in den USA und sogar in Japan hat uns Clinic Invent begleitet – und dem Team weit darüber hinaus unzählige Hilfestellungen geleistet, die man nur als erfolgsentscheidend beschreiben kann
Mit den Schutzrechtsanmeldungen im Gepäck konnte das Team Förderungen im Programm „EXIST-Forschungstransfer“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) einwerben – und gemeinsam ein Spin-Off der Universität Münster gründen, die Truion GmbH. Als es bei dieser Ausgründung darum ging, die Schutzrechtsanmeldungen von der Universität zu erwerben, stand uns einmal mehr Clinic Invent zur Seite: Intuitiv fanden wir zu einem für beide Seiten fairen und auf die nachhaltige Entwicklung dieses medizinisch wichtigen Projekts fokussierten Vertrag.
Truion vertreibt heute im In- und Ausland die Testlösung für den CatSper-Test unter dem Namen „CatFlux“. Ärztinnen und Ärzten ist damit die Möglichkeit eröffnet, durch eine optimierte diagnostische Aufklärung zu einer personalisierten Kinderwunschmedizin für Betroffene beizutragen – mit einer möglichst kurzen Behandlungsroute, die von vorneherein zum Scheitern verurteilte Therapieversuche und das mit ihnen einhergehende medizinische Risiko vermeidet. Die Naturwissenschaftler ergänzt dabei im Team der Wirtschaftswissenschaftler Vincent Fischer als Geschäftsführer von Truion.
Wir sind stolz auf unsere Idee und unser Unternehmen, das nicht nur als Gewinner des „Science4Life“ Businessplanwettbewerbs, des „Preises für Junge Forschung“ des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands und des Innovationspreises Münsterland überzeugen konnte, sondern uns vor allem auch unsere Vision leben lässt: Menschen dabei zu helfen, eine Familie zu gründen.