Beispiel Orphan Diseases - Die Entwicklung einer „Enzymsalbe“ für die lamelläre Ichthyose: ein Langzeitprojekt

(v.l.): Heiko Traupe (UKM), Kris Paul und Klaus Langer (beide IPTB, Universität Münster)
Foto: privat

Die lamelläre Ichthyose zeichnet sich durch einen Mangel des Enzyms Transglutaminase 1 (TG1) aus und ist eine sehr seltene und schwer verlaufende Hauterkrankung. Schon Neugeborene sind betroffen und weisen eine Kollodium-artige Membran auf, die den ganzen Körper bedeckt. Diese löst sich innerhalb der ersten Lebenswochen ab und es entwickelt sich eine massive dunkelbraune Schuppung am ganzen Körper und zwar lebenslang. Verbunden ist dies in der Regel mit einem unerträglichen und konstanten Juckreiz. Therapeutisch stehen lediglich Symptom-lindernde Salben, die Harnstoff oder Milchsäure enthalten, und unspezifisch wirkende Tabletten mit Retinoiden (Vitamin A-Abkömmlinge) zur Verfügung, die nur begrenzt wirken.

10 Jahre Forschung in Münster, Berlin und Madrid
Diese unbefriedigende Situation wollte die Arbeitsgruppe von Oberarzt Professor Heiko Traupe und Dr. Karin Aufenvenne aus der Hautklinik des UKM im Jahr 2003 ändern. In drei aufeinanderfolgenden Forschungsförderungen durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gelang es ihnen in Zusammenarbeit mit ihren Partnern in Berlin und Madrid das Enzym TG1 in Insektenzellen herzustellen, es in Liposomen zu verpacken und einen biologischen Effekt in einem transplantierten Mausmodell nachzuweisen. 
Nach 10 Jahren Forschung erhielt die Universität Münster für dieses Verfahren von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) eine sogenannte „orphan drug designation“, die dem Verfahren Patent-ähnliche Rechte verleiht. Mit Hilfe dieser EU-Gesetzgebung hätte - eine erfolgreiche klinische Prüfung und Zulassung vorausgesetzt - eine Pharmafirma das Recht gehabt, für 10 Jahre die TG1-Enzymsalbe alleinig in der EU zu vermarkten.

Die Schwierigkeit, eine Pharmafirma zu gewinnen
Zusammen mit Clinic Invent und dem Partner in Berlin folgten Gespräche mit Pharmafirmen über eine mögliche Übernahme der weiteren kostenintensiven präklinischen Forschung und Durchführung von klinischen Studien. Leider vergeblich, da der Industrie Insektenzellen als Herstellungssystem zu teuer waren. Das Vorhaben war im Dezember 2016 zunächst zu einem traurigen Ende gekommen.

Eltern betroffener Kinder reaktivieren das Projekt
Zwei Jahre später reaktivierten Eltern betroffener Kinder das Vorhaben mit Hilfe einer europäischen Spendenkampagne („United for Fighting Ichthyosis“, kurz: UFFI) auf gofundme.com. Mit Hilfe der eingeworbenen Spenden konnten weitere Mausversuche durchgeführt werden, bei denen jedoch nur ein partielles Ansprechen der Behandlung bei einer geringen Tieranzahl gezeigt werden konnte. Mäuse mit stabiler transplantierter Ichthyose konnten nicht erzeugt werden.

Ursachenforschung für das ernüchternde Resultat
Kris Paul, ein Masterstudent aus der Arbeitsgruppe von Professor Klaus Langer, Direktor des Instituts für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie (IPTB) der Universität Münster, hatte eine recht plausible Erklärung für die eher ernüchternden Resultate bei den Mausversuchen: das Enzym zeige eine Instabilität und neige zur spontanen Ausbildung von Oligomeren sowie zur Proteinaggregation, was mit einem Verlust von Enzymaktivität verbunden sei.

Weiterführung des Vorhabens mit dem IPTB in Münster
Das Projekt wurde wieder aufgegriffen und in Zusammenarbeit mit Professor Klaus Langer ausgebaut. Seit 2022 kann dank der noch laufenden Spendenkampagne die Fortführung des Vorhabens für 3 Jahre durch einen Doktoranden in der Arbeitsgruppe von Professor Langer ermöglicht werden. Ziel dieses neuen Projekts ist die Stabilisierung der TG1 und die Entwicklung einer stabilen Formulierung, welche in Zellkulturen einen biologischen Effekt zeigen soll. Im ersten Schritt konnte eine kostengünstige Herstellung der TG1 in einem bakteriellen Expressionssystem erfolgreich etabliert werden. Aktuell liegt der Fokus auf der Stabilisierung und der Formulierungsentwicklung. Mit den bisherigen Ergebnissen besteht jetzt die Hoffnung, eine Pharmafirma für die weitere präklinische Forschung gewinnen zu können. Die „Enzymsalbe“ für die lamelläre Ichthyose ist ein echtes Langzeitprojekt …