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Nach dem Schlaganfall die Worte wiederfinden: Weltweit einmalige Studie belegt Wirksamkeit intensiver Sprachtherapie bei chronischer Aphasie

Die Mitarbeiter der FCET2EC-Studienzentrale in Münster während der aktiven Projektphase, darunter auch Priv.-Doz. Dr. Caterina Breitenstein (2.v.l.; Foto: FZ)

Münster (mfm/sm) - Mit „Sprachlosigkeit“ lässt sich die Erkrankung „Aphasie“ aus dem Griechischen übersetzen. Den Betroffenen fehlen buchstäblich die Worte – und das dauerhaft. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Sprachforschern der Universität Münster hat nun eine Studie zur Wirksamkeit von intensiver Sprachtherapie bei Patienten durchgeführt, bei denen die Aphasie von einem Schlaganfall herrührt, der bereits sechs Monate oder länger zurücklag. Das Besondere: Weltweit ist dies die erste Studie in dieser Patientengruppe mit chronischer Aphasie, die unter regulären klinischen Bedingungen an verschiedenen Zentren stattfand und eine nicht behandelte Kontrollgruppe einschloss. Und: Die Erkenntnisse, veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Lancet“, belegen, was Sprachtherapeuten und Rehabilitationsmediziner aufgrund klinischer Erfahrungen eigentlich schon wussten, wofür bisher allerdings ausreichende wissenschaftliche Belege fehlten. In dieser nun nachgewiesenen Evidenz liegt die große Bedeutung des Projektes.
In etwa 85 Prozent der Fälle haben Menschen mit chronischer Aphasie zuvor einen Schlaganfall erlitten, der das „sprachliche Netzwerk“ im Gehirn geschädigt hat. Die Patienten sind sowohl beim Sprechen und Verstehen von Lautsprache als auch beim Lesen und Schreiben beeinträchtigt. Dabei ist die Schwere der Aphasie von Mensch zu Mensch verschieden. Obwohl die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie seit über zehn Jahren eine Intensiv-Sprachtherapie als den Königsweg empfiehlt und diese daher Behandlungsalltag sein sollte, übernehmen die deutschen Krankenkassen die Kosten hierfür nicht ohne Weiteres. Der Grund ist die fehlende wissenschaftliche Evidenz: Es mangelt an Ergebnissen aus multizentrischen, randomisierten und kontrollierten klinischen Studien, die die Wirksamkeit der Therapie hinreichend belegen. Diese liefert nun das Projekt der „FCET2EC study group“ unter der Leitung von Privatdozentin Dr. Caterina Breitenstein aus der münsterschen Uniklinik für Allgemeine Neurologie – noch dazu mit einer einmalig großen Stichprobe. In deutschlandweit 19 ambulanten oder (teil-)stationären Kliniken sowie Rehabilitationszentren nahmen 156 Menschen mit schlaganfallbedingter chronischer Aphasie an der Studie teil – mit Erfolg.
„Für unser Forschungsvorhaben kamen nur solche Patienten in Frage, bei denen der letzte Schlaganfall vor Therapiebeginn mindestens sechs Monate zurücklag und die eine dauerhafte Sprachstörung zurückbehielten. Nach einem halben Jahr sind die Symptome einer Aphasie verfestigt und es ist ohne intensive Behandlung nicht mehr mit einer Besserung zu rechnen“, erklärt Neurowissenschaftlerin und Erstautorin Breitenstein. Um den Leistungsstand der Betroffenen festzustellen, absolvierten diese als erste Maßnahme innerhalb der Studie zahlreiche Sprachtests. Nach der Bestimmung des Störungsbildes und Schweregrades wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. „Für die eine begann sofort eine dreiwöchige intensive Sprachtherapie, für die andere, die Kontrollgruppe, erst nach ebenso langer Wartezeit“, so Breitenstein. Durch dieses Vorgehen konnte das Team ausschließen, dass sich eine positive Entwicklung auch ohne diese Intervention eingestellt hätte.
Während der Behandlungsphase absolvierten die Teilnehmer mindestens zehn Stunden pro Woche ein individuelles Programm aus Einzel- und Gruppensitzungen: Im linguistischen Teil hatten sie beispielsweise in Wortfindungsübungen fehlende Begriffe in Lückensätzen zu ergänzen – immer und immer wieder. Die Sätze beschrieben stets eine Situation aus dem Alltag. Durch die häufige Wiederholung „lernt“ das Gehirn nachhaltig, auch den entsprechenden Situationen im Alltag schneller die richtigen Wörter zuzuordnen, so die Vermutung der Forscher.
In Rollenspielen, die zum sogenannten kommunikativen Part der Therapie zählen, lernten die Studienteilnehmer, ihr gesamtes Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten einzusetzen. Eine typische Aufgabe: Einem Passanten – gespielt vom Therapeuten – soll mit Worten, aber auch durch Zeigen und Zeichnen der richtige Weg auf einem Stadtplan gewiesen werden. „Mit einem solchen Rollenspiel wollen wir die Patienten ermutigen, ihre Störung auch mit nonverbalen Formen der Kommunikation auszugleichen“, beschreibt die Seniorautorin der Studie, Prof. Annette Baumgärtner von der Hochschule Fresenius, den Sinn der Übung. Außerdem stand täglich mindestens eine Stunde Eigentraining auf dem Behandlungsprogramm.
Nach der Therapie wurde der sprachliche und kommunikative Leistungsstand der Betroffenen noch einmal ermittelt. Der Vergleich mit den Testergebnissen vor Behandlungsbeginn zeigte es deutlich: Bei den Studienteilnehmern der Interventionsgruppe hatte sich die verbale Kommunikationsfähigkeit in bis dahin nicht geübten Alltagssituationen, wie das telefonische Verschieben eines Arzttermins, nachweislich verbessert. Auch bei der Nachuntersuchung ein halbes Jahr später hielten die erzielten Effekte an. Damit konnten die Wissenschaftler zeigen, dass eine mindestens dreiwöchige intensive Sprachtherapie mit zehn Zeitstunden pro Woche als Minimum ein wirksames und nachhaltiges Behandlungsverfahren für Schlaganfallpatienten mit chronischer Aphasie ist. Die Forschungsergebnisse lassen hoffen, dass die Kostenübernahme dieser Therapie künftig einfacher von den entsprechenden Trägern des Gesundheitswesens genehmigt wird.
Förderer der Studie waren das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Gesellschaft für Aphasieforschung und -behandlung. Maßgeblich beteiligt an der jetzigen Publikation in „Lancet“ waren Wissenschaftler der Unikliniken Tübingen, Aachen, Berlin und Leipzig.

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