Forschungsthematik

Kohlenhydrat-Protein-Interaktionen von Pathogenen und Virulenzfaktoren bei Infektionsprozessen

Infektionen von Säugetieren durch Bakterien und Viren beginnen in vielen Fällen mit einer Bindung der Krankheitserreger bzw. ihrer Toxine an Zuckerstrukturen, die von den Zellen auf Ihrer Zelloberfläche den Krankheitserregern "präsentiert" werden. Bei diesen Glyko-Rezeptoren handelt es sich um Glykoproteine (GP) und/oder Glykosphingolipide (GSL) die in der äußeren Hälfte der Plasmamembran lokalisiert sind. Die Abbildung (erstellt mit „Servier Medical Art“ und freundlicher Genehmigung von „LES LABORATOIRES SERVIER“,  www.servier.com) zeigt die Interaktion von GSL mit den bakteriellen Zellgiften Shiga Toxin (Stx) und Cholera Toxin (Ct) sowie die GP- bzw. GSL-vermittelte Adhäsion von Influenza A-Viren und Bakterien am Beispiel von uropathogenen Escherichia coli (UPEC) und Helicobacter pylori.
The figure was produced with 'Servier Medical Art ' by kind permission of 'LES LABORATOIRES SERVIER' www.servier.com

Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) stellen die humanpathogene Subgruppe der Stx-produzierenden Escherichia coli (STEC), die auch als Verotoxin-produzierende Escherichia coli (VTEC) bezeichnet werden, dar. EHEC verursachen Darminfektionen, verbunden mit wässrigen und blutigen Durchfällen, die in schweren Fällen zur Manifestation einer hämorrhagischen Kolitis und dem lebensbedrohlichen hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) führen können. Extraintestinale Komplikationen von EHEC-Infektionen beruhen auf der Tatsache, dass die von diesen Erregern freigesetzten Stx-Subtypen Stx1a und/oder Stx2a bevorzugt die mikrovaskulären Endothelzellen der Niere und des Gehirns schädigen. Daher stehen Untersuchungen zur funktionellen Bedeutung der Stx-Rezeptoren Globotriaosylceramid (Gb3Cer) und Globotetraosylceramid (Gb4Cer) des mikrovaskulären Endothels dieser beiden Organe im Vordergrund der Forschungsarbeiten unserer AG. Die Strukturaufklärungen der Stx-Rezeptoren erfolgen innerhalb des Institutes für Hygiene in enger Kooperation mit der AG von Herrn Professor Dr. Klaus Dreisewerd (Biomedizinische Massenspektrometrie) mittels modernster massenspektrometrischer MALDI-TOF MS-Verfahren (SYNAPT G2 HDMS) sowie der ESI-Q-TOF MS-Technologie (Herr Dr. Michael Mormann) in Kombination mit immunchemischen Techniken. Mit dieser Strategie konnten wir das Forssman-GSL als neuen Stx-Rezeptor, der ausschließlich von dem Subtyp Stx2e „erkannt“ wird, identifizieren.

Ausgehend von dem Dogma, dass die supramolekulare Organisation der GSL in lipid rafts von funktioneller Bedeutung für die Bindung und Internalisierung von Stx ist, untersuchen wir die Mikrodomänen der Plasmamembran humaner mikrovaskulärer Endothelzellen bezüglich ihrer GSL-Zusammensetzung. Inwieweit die Stx-Rezeptor-Interaktion durch Verabreichung von Gb3-Oligosacchariden oder von strukturverwandten Oligosacchariden pflanzlichen Ursprungs inhibiert und damit die zellschädigende Wirkung von Stx neutralisiert werden kann, wird in einem translationalen Forschungsansatz von Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Helge Karch zusammen mit der AG Müthing untersucht.

Da Unklarheit besteht, welche Leukozyten-Subpopulationen aufgrund ihrer Stx-Rezeptor-Ausstattung als Transporteure von Stx aus dem Darm über die Blutbahn zu renalen und zerebralen Endothelzellen in Frage kommen, bearbeiten wir diese Fragestellung in unserer AG. Die Komplexität der Situation wird dadurch erhöht, dass die Stx-Rezeptoren Gb3Cer und Gb4Cer im menschlichen Blut Lipoprotein-assoziiert vorkommen, so dass Lipoproteine an dem Transport von Stx in der Blutbahn und dessen Transfer auf das mikrovaskuläre Endothel beteiligt sein könnten.

Aufgrund ihrer hohen Zytotoxizität stellen die Stx potentielle Kandidaten für eine individualisierte Anti-Tumor-Therapie dar. Der Einsatz von Stx und/oder Stx-Derivaten erscheint bei zahlreichen Tumorentitäten des humanen Gastrointestinaltraktes, die Stx-Rezeptoren im Vergleich zum gesunden Gewebe in erhöhter Konzentration exprimieren, vielversprechend.

Obwohl die Bedeutung von Neuraminsäuren bei der Infektion von Zellen, z.B. Epithelzellen der Lunge, durch Influenza A-Viren seit langem bekannt ist, besteht weiterhin Forschungsbedarf hinsichtlich der Identifizierung zellspezifischer Rezeptoren, die uns Aufschluß über den Wirtstropismus und Infektionsverlauf von Viruserkrankungen geben können. So konnten wir zeigen, dass beispielsweise humane Influenza A-Viren vom H3N2-Typ mit Sialyl-Lewisx-Strukturen interagieren. Dieser Befund weist darauf hin, dass neben der Neuraminsäure weitere Substituenten, wie z.B. Fukosen, an der Bindung viraler Hämagglutinine und damit an einer Influenza-Infektion beteiligt sein könnten. In diesem Zusammenhang führen wir weitere Arbeiten zur Identifizierung Neuraminsäure-haltiger GSL-Rezeptoren (Ganglioside) von Influenza A-Viren humanen und tierischen Ursprungs insbesondere unter zoonotischen Aspekten durch.  

Die Forschungsvorhaben werden vom Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) der Medizinischen Fakultät der Universität Münster sowie der DFG und dem BMBF finanziell gefördert.