Bei vielen Hirnerkrankungen korreliert das Fortschreiten der pathologischen Veränderungen auf molekularer und zellulärer Ebene nur schlecht mit dem phänotypischen Erscheinungsbild. Es gibt viele Beispiele, bei denen die Verhaltensfunktionalität selbst nach einem drastischen regionalen neuronalen Verlust erhalten bleibt. Neuronale Netzwerke können bei neurodegenerativen, neuro-immunologischen und psychiatrischen Erkrankungen sehr früh und krankheitsübergreifend verändert werden, und zwar auch in Regionen, die noch nicht von der zugrunde liegenden molekularen und zellulären Pathophysiologie betroffen sind. Diese frühen Veränderungen sind häufig maladaptiv und gehen mit hyperaktiven Neuronen einher, was den Ausgangspunkt für die aktivitätsabhängige Neurodegeneration darstellt. Netzwerke können plastische Veränderungen durchlaufen, die nicht unbedingt auf die Optimierung des phänotypischen Ergebnisses abzielen, sondern durch eine Systemdynamik, die auf eigene stabilitätserhaltende Weise gesteuert wird. Diese Zustände können systemtheoretisch als selbstbalancierende Attraktoren formalisiert werden. Diese frühen neuronalen Netzwerkveränderungen stellen eine eigene (patho-)physiologische Einheit dar, die neue therapeutische Ziele zur Verhinderung der Manifestation von Krankheiten und zur Förderung der Resilienz bietet.
In diesem frühen Stadium kann die kurzfristige Anwendung von Mediatoren das Netzwerk wieder ins Gleichgewicht bringen, um einen physiologischen Zustand zu erreichen und Fehlanpassungen frühzeitig auszugleichen, wodurch eine aktivitätsabhängige Neurodegeneration verhindert oder verzögert wird. Für eine translational relevante Neuromodulation untersuchen wir die netzwerkweite, langanhaltende enthemmende Wirkung einer stereotaktischen Radiochirurgie mit subablativer Dosis an fokalen Hirnzielen für eine dauerhafte Wiederherstellung des Gleichgewichts neuronaler Netzwerke. Nicht zuletzt sind diese Netzwerkzustände in hohem Maße vom inneren Zustand des Gehirns abhängig. Wir untersuchen auch funktionelle Hirnzustände - wie den "Slow-Wave State"- und den "Persistent State" - unter verschiedenen Bedingungen der Vigilanz.
Zur Beurteilung und Manipulation vor allem kortiko-thalamischer Netzwerkzustände setzen wir optischen und optomagnetischen multimodalen Bildgebungsansätze bei Nagetieren ein, wie z.B. 2-Photonen-Ca2+-Bildgebung, optikfaserbasierte Ca2+-Ableitungen, Einzelzell-Optogenetik und funktionelle MRT. Wir kombinieren z.B. optische Ableitungen von langsamen Oszillationen mit gleichzeitiger fMRT, um die hirnweite fMRT-Signatur von neuronalen Signalen interessanter langsamer Oszillationen zu erhalten. Wir verbessern auch die zeitliche Auflösung der fMRT, indem wir schnelle "Line-Scanning"-Verfahren einsetzen. Diese Pipelines lassen sich auch auf menschliche EEG-fMRT-Aufnahmen übertragen.