Der Medizinprofessor, der „unter die Deutschen fiel“: Chima Oji bleibt Münster trotz zwiespältiger Erfahrungen treu
Enugu/Münster (mfm/dk) - Die Zeit heilt alle Wunden, weiß der deutsche Volksmund. Diese Erfahrung hat auch Prof. Chima Oji, ein gebürtiger Nigerianer und ehemaliger münsterscher Medizinstudent, gemacht. Während seiner Zeit in Münster war er mit rassistischen Vorbehalten und Morddrohungen konfrontiert - eine emotionale Extremsituation für den Immigranten, die er in seinem Buch „Unter die Deutschen gefallen“ beschreibt. Dennoch ist sein Blick zurück ohne Zorn – und Münster immer noch die Lieblingsstadt.
Die Lebensgeschichte Ojis beginnt 1947 mit der Geburt in Nigeria. Wenig später wandert seine Familie nach Deutschland aus, um bessere Bildungs- und Karrierechancen zu haben. Mit 20 Jahren schafft der gebürtige Afrikaner dort sein Abitur und nimmt ein Medizinstudium in Münster auf, wo die Westfälische-Wilhelms-Universität und das Universitätsklinikum schon zu Beginn der 1970er Jahre einen ausgezeichneten Ruf in Deutschland genießen. Es folgt 1981 die Promotion in Medizin, später auch noch eine in Zahnmedizin. Als Facharzt für Zahn-, Mund- Kieferchirurgie sammelt er anschließend wertvolle berufliche Erfahrungen.
Zu einem, wenn nicht dem Schlüsseljahr in Chima Ojis Karriere wird 1990: Er wird Dekan der School / Faculty of Dentistry an der University of Nigera in Enugu, einer Provinzhauptstadt des Landes, und kehrt somit nach Jahrzehnten der Aus- und Fortbildung in Münster zurück in sein Heimatland. Was hat ihn zu diesem Schritt motiviert? Wer dieser Frage nachgeht, stößt auf Ojis Roman „Unter die Deutschen gefallen“.
Das Buch, 1993 erstmals erschienen, war ein unerwarteter Verkaufserfolg: Allein als Hardback erreichte es vier Auflagen und wurde 2001 noch einmal als Taschenbuch veröffentlicht. Ohne Hass und Verbitterung beschreibt Oji darin seine Studienzeit in Münster - obwohl seine Erfahrungen als Schwarzer in einer weißen Gesellschaft bestürzend sind: Die Palette der Diskriminierungen reicht von verdrucksten Vorbehalten bis hin zur offenen Morddrohung. Auch die Uni bildete keine Ausnahme: „Es ist eigenartig. Während des normalen Lehrbetriebes machten die Professoren eigentlich keine nennenswerten Unterschiede zwischen Deutschen und Ausländern. Erst in Prüfungen zeigten einige von ihnen ihr wahres Gesicht. Es muss wohl so gewesen sein, dass sie sich just in dem Augenblick, als die Autorität am unangefochtensten war, ihren geheimen Rassismus nicht verkneifen konnten“, schreibt Oji über die Schattenseiten seines Studentenlebens.
Auch unter den Kommilitonen lassen es sich viele nicht nehmen, Oji zu schikanieren, so, indem sie ihn wiederholt im Wohnheim bestehlen oder bei Parties sofort die Polizei rufen, um Anzeige wegen der angeblichen Ruhestörung zu erstatten. Sogar offenen Morddrohungen ist er ausgesetzt – oft nur angedeutet, aber doch so formuliert, dass die Aussage nicht missverstanden werden kann. Viele sehen in ihm nur den „Neger“ – und lassen so die Idee einer Karriere im Geburtsland Nigeria immer stärker reifen.
„Vorurteile haben viele Formen und Gesichter“, umreißt Oji die ins Gedächtnis einbrannten Eindrücke aus seiner Zeit als Student. „Solange der menschliche Geist in diesem Stadium der Primitivität verharrt, wird es Hass geben und Frieden auf der Welt keine Chance haben“, schlägt Oji auch einen Bogen zur aktuellen Flüchtlingskrise in Europa.
Zurück nach Nigeria
Sein Sprung ins Ausland wird belohnt: In Nigeria wird ist er hoch geschätzt und steigt zum Chef des „Department of Oral & Maxillofacial Surgery“ seiner Universität auf, avanciert 2000 zum Professor für Zahn-, Mund-, und Kieferchirurgie sowie 2001 zum Professor der Homöopathie. Wenig später wird er Senior Consultant im Federal Teaching Hospital in Abakaliki. Es folgt eine Gastprofessur am Federal College of Complimentary and Alternative Medicine in Abuja. Von 2013 bis 2014 wirkte er als Mitglied im Medical & Dental Council of Nigeria mit und erreicht damit den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere in Nigeria.
Neben der Lehrtätigkeit nimmt Oji aktiv am Tagesgeschäft teil: Jede Woche gibt es einen festen Konsultationstag sowie einen Operationstag, an dem er noch selbst chirurgische Eingriffe vornimmt. Sein Schwerpunkt bleibt die Kieferchirurgie; als leitender Angestellter übernimmt Oji aber auch einen großen Teil der administrativen Arbeit.
Versteht er sich als Entwicklungshelfer im eigenen Land? „Im klassischen Sinne sicher nicht. Ich sehe mich weder als ‚Halbgott‘ noch als einer von der ‚Herrenrasse‘, der den armen Menschen sogenannten Dritten Welt hilft. In Wirklichkeit sind wir alle Entwicklungshelfer, weil wir uns alle gegenseitig helfen, egal wo wir uns befinden. Jeder leistet seinen Anteil zum Wohl des Ganzen“, entgegnet Oji auf die Nachfrage zum Bildungs- und Versorgungsgefälle zwischen der deutschen und nigerianischen Medizin. Er will an vorderster Front helfen – und zugleich jeden Eindruck von Überheblichkeit vermeiden.
Mittlerweile ist fast ein Vierteljahrhundert seit dem Erscheinen seines Buches und seiner Auswanderung vergangen. Vergessen hat der Mediziner seine Studienstadt Münster aber nicht: „Ich liebe und vermisse die Stadt. Wenn ich nach Deutschland reise, muss ich Münster unbedingt besuchen. Ich mache dann einen Spaziergang in der Altstadt und am Aasee“, sagt Chima Oji. Vieles habe sich zum Positiven entwickelt. Er wolle nicht generalisieren: Die damaligen Diskriminierungen seien zwar Realität gewesen, aber nicht von der Mehrheit getragen. Daniel Kuna
(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Die Hinweise stammen aus dem Absolventenregister von MedAlum.)
Die Lebensgeschichte Ojis beginnt 1947 mit der Geburt in Nigeria. Wenig später wandert seine Familie nach Deutschland aus, um bessere Bildungs- und Karrierechancen zu haben. Mit 20 Jahren schafft der gebürtige Afrikaner dort sein Abitur und nimmt ein Medizinstudium in Münster auf, wo die Westfälische-Wilhelms-Universität und das Universitätsklinikum schon zu Beginn der 1970er Jahre einen ausgezeichneten Ruf in Deutschland genießen. Es folgt 1981 die Promotion in Medizin, später auch noch eine in Zahnmedizin. Als Facharzt für Zahn-, Mund- Kieferchirurgie sammelt er anschließend wertvolle berufliche Erfahrungen.
Zu einem, wenn nicht dem Schlüsseljahr in Chima Ojis Karriere wird 1990: Er wird Dekan der School / Faculty of Dentistry an der University of Nigera in Enugu, einer Provinzhauptstadt des Landes, und kehrt somit nach Jahrzehnten der Aus- und Fortbildung in Münster zurück in sein Heimatland. Was hat ihn zu diesem Schritt motiviert? Wer dieser Frage nachgeht, stößt auf Ojis Roman „Unter die Deutschen gefallen“.
Das Buch, 1993 erstmals erschienen, war ein unerwarteter Verkaufserfolg: Allein als Hardback erreichte es vier Auflagen und wurde 2001 noch einmal als Taschenbuch veröffentlicht. Ohne Hass und Verbitterung beschreibt Oji darin seine Studienzeit in Münster - obwohl seine Erfahrungen als Schwarzer in einer weißen Gesellschaft bestürzend sind: Die Palette der Diskriminierungen reicht von verdrucksten Vorbehalten bis hin zur offenen Morddrohung. Auch die Uni bildete keine Ausnahme: „Es ist eigenartig. Während des normalen Lehrbetriebes machten die Professoren eigentlich keine nennenswerten Unterschiede zwischen Deutschen und Ausländern. Erst in Prüfungen zeigten einige von ihnen ihr wahres Gesicht. Es muss wohl so gewesen sein, dass sie sich just in dem Augenblick, als die Autorität am unangefochtensten war, ihren geheimen Rassismus nicht verkneifen konnten“, schreibt Oji über die Schattenseiten seines Studentenlebens.
Auch unter den Kommilitonen lassen es sich viele nicht nehmen, Oji zu schikanieren, so, indem sie ihn wiederholt im Wohnheim bestehlen oder bei Parties sofort die Polizei rufen, um Anzeige wegen der angeblichen Ruhestörung zu erstatten. Sogar offenen Morddrohungen ist er ausgesetzt – oft nur angedeutet, aber doch so formuliert, dass die Aussage nicht missverstanden werden kann. Viele sehen in ihm nur den „Neger“ – und lassen so die Idee einer Karriere im Geburtsland Nigeria immer stärker reifen.
„Vorurteile haben viele Formen und Gesichter“, umreißt Oji die ins Gedächtnis einbrannten Eindrücke aus seiner Zeit als Student. „Solange der menschliche Geist in diesem Stadium der Primitivität verharrt, wird es Hass geben und Frieden auf der Welt keine Chance haben“, schlägt Oji auch einen Bogen zur aktuellen Flüchtlingskrise in Europa.
Zurück nach Nigeria
Sein Sprung ins Ausland wird belohnt: In Nigeria wird ist er hoch geschätzt und steigt zum Chef des „Department of Oral & Maxillofacial Surgery“ seiner Universität auf, avanciert 2000 zum Professor für Zahn-, Mund-, und Kieferchirurgie sowie 2001 zum Professor der Homöopathie. Wenig später wird er Senior Consultant im Federal Teaching Hospital in Abakaliki. Es folgt eine Gastprofessur am Federal College of Complimentary and Alternative Medicine in Abuja. Von 2013 bis 2014 wirkte er als Mitglied im Medical & Dental Council of Nigeria mit und erreicht damit den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere in Nigeria.
Neben der Lehrtätigkeit nimmt Oji aktiv am Tagesgeschäft teil: Jede Woche gibt es einen festen Konsultationstag sowie einen Operationstag, an dem er noch selbst chirurgische Eingriffe vornimmt. Sein Schwerpunkt bleibt die Kieferchirurgie; als leitender Angestellter übernimmt Oji aber auch einen großen Teil der administrativen Arbeit.
Versteht er sich als Entwicklungshelfer im eigenen Land? „Im klassischen Sinne sicher nicht. Ich sehe mich weder als ‚Halbgott‘ noch als einer von der ‚Herrenrasse‘, der den armen Menschen sogenannten Dritten Welt hilft. In Wirklichkeit sind wir alle Entwicklungshelfer, weil wir uns alle gegenseitig helfen, egal wo wir uns befinden. Jeder leistet seinen Anteil zum Wohl des Ganzen“, entgegnet Oji auf die Nachfrage zum Bildungs- und Versorgungsgefälle zwischen der deutschen und nigerianischen Medizin. Er will an vorderster Front helfen – und zugleich jeden Eindruck von Überheblichkeit vermeiden.
Mittlerweile ist fast ein Vierteljahrhundert seit dem Erscheinen seines Buches und seiner Auswanderung vergangen. Vergessen hat der Mediziner seine Studienstadt Münster aber nicht: „Ich liebe und vermisse die Stadt. Wenn ich nach Deutschland reise, muss ich Münster unbedingt besuchen. Ich mache dann einen Spaziergang in der Altstadt und am Aasee“, sagt Chima Oji. Vieles habe sich zum Positiven entwickelt. Er wolle nicht generalisieren: Die damaligen Diskriminierungen seien zwar Realität gewesen, aber nicht von der Mehrheit getragen. Daniel Kuna
(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Die Hinweise stammen aus dem Absolventenregister von MedAlum.)