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Akute Myeloische Leukämie: Klinische Studie stellt den bisherigen Therapie-Standard in Frage
Münster (mfm/mew) – Für Patienten mit Akuter Myeloischer Leukämie, insbesondere nach einem Rückfall oder Nicht-Ansprechen auf eine konventionelle Chemotherapie, ist die Stammzelltransplantation die einzige Behandlungsoption mit Aussicht auf Heilung. Bevor jedoch die Stammzellen transplantiert werden, wird eine Komplettremission angestrebt. Um diese zu erreichen, wird eine hochdosierte Chemotherapie angewandt, bis keine Leukämiezellen mehr nachweisbar sind. In der Behandlung dieser Form des Blutkrebses war ein solches stufenweises Vorgehen bisher der „Goldstandard“. Aber der gerät nun ins Wanken: Eine neue Studie mit Beteiligung von Forschenden der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster zeigt, dass eine nur elf- bis zwölftägige vorbereitende Therapie mit anschließender sofortiger Stammzelltransplantation auch ohne vorherige Komplettremission einen vergleichbaren Behandlungserfolg erzielt – und das mit weniger Nebenwirkungen und einem kürzeren Krankenhausaufenthalt.
Die Akute Myeloische Leukämie (AML) ist die häufigste Form der akuten Leukämie bei Erwachsenen und führt, wird sie nicht behandelt, innerhalb weniger Wochen zum Tod. Bei Patienten mit therapieresistenter oder wiederkehrender AML ist die Transplantation von allogenen, also nicht-patienteneigenen, blutbildenden Stammzellen die effektivste Behandlungsmöglichkeit. Bislang stand diese Möglichkeit jedoch standardmäßig nur Patienten in Komplettremission zur Verfügung. „Die Ergebnisse unserer Studie bringen einen internationalen Standard der Leukämie-Therapie ins Wanken und waren auch für uns selbst überraschend“, betont Studienleiter Prof. Johannes Schetelig vom Universitätsklinikum Dresden. „Sie legen nahe, dass bei Verfügbarkeit eines kompatiblen Stammzellspenders die Transplantation so schnell wie möglich erfolgen sollte, auch wenn im Körper des Patienten noch Leukämiezellen nachweisbar sind.“
Der Erstautor der Studie, Medizinprofessor Matthias Stelljes von der Universität Münster, erläutert die Auswirkungen der neuen Erkenntnisse auf AML-Patienten: „Die bislang angestrebte vorherige Komplettremission ist selbst mit intensiven Chemotherapien nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen überhaupt erreichbar. Ist die entsprechende Behandlung nicht erfolgreich, erhalten Patienten in Deutschland oft weitere Therapien mit ähnlich unbefriedigenden Erfolgschancen“, so Stelljes, der den Bereich Knochenmarktransplantation am Universitätsklinikum Münster leitet. Auch global könne das Leben vieler AML-Patienten durch die alternative Therapie verlängert werden: So erfolge in Ländern mit weniger umfassender Gesundheitsversorgung nach einer gescheiterten Komplettremission aus Kostengründen häufig auch keine Stammzelltransplantation mehr. „Durch Verzicht auf den kostenintensiven Zwischenschritt könnte somit weltweit mehr Patienten die Möglichkeit einer Stammzelltransplantation eröffnet werden, die vielfach die einzige Chance auf Heilung bedeutet“, sagt der münstersche Unimediziner.
Das am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden geleitete Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Knochemarkspenderdatei als arzneimittelrechtlichem Sponsor ermöglicht sowie von der Studienallianz Leukämie und der Kooperativen Deutschen Transplantationsstudiengruppe getragen. Die auf dem weltgrößten Hämatologiekongress – der Jahrestagung der American Society of Hematology – erstmals vorgestellte Studie umfasste rund 280 Patientinnen und Patienten mit therapieresistenter oder wiederkehrender AML. Die Teilnehmenden wurden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugeordnet. Eine erhielt eine hochdosierte Chemotherapie mit dem Ziel einer Komplettremission, während die zweite Gruppe nach vorbereitender Therapie direkt eine Stammzelltransplantation bekam. Patientinnen und Patienten der zweiten Gruppe wurden bereits nach durchschnittlich vier Wochen transplantiert, während dies bei solchen der anderen erst nach etwa acht Wochen erfolgte. In Bezug auf das leukämiefreie Überleben ein Jahr nach der Transplantation (ca. 70 Prozent) zeigten sich keine signifikanten Unterschiede, ebenso wie beim Gesamtüberleben ein und drei Jahre nach Studienschluss (ca. 70 beziehungsweise ca. 50 Prozent).