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Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn: Internationales Forscherteam entschlüsselt Beutelmull-Erbgut
Münster (mfm/nn) – „Augen zu und durch“: Nach diesem Motto könnten die Vorfahren der australischen Beutelmulle vor etwa 60 Millionen Jahren ihre neue Lebensnische unter der Erde erobert haben. Mit der Zeit wurden ihre ungenutzten Augen schlicht überflüssig – und schließlich „abgeschafft“. Diese Anpassung des Beuteltiermaulwurfes gehört zu den Erkenntnissen eines internationalen Forscherteams, das erstmals das vollständige Erbgut des seltenen Wüstentieres entschlüsselt hat. Die Ergebnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Science Advances, werfen ein neues Licht auf die Evolution des Beutelmulls. Auch Forschende der Universität Münster waren an der Entschlüsselung beteiligt: Dr. Jürgen Schmitz, Dr. Liliya Doronina und Raphael Steffen vom Institut für Experimentelle Pathologie der Universität Münster widmeten sich vor allem der Frage nach den nächsten Verwandten des Beutelmulls. Ihre Analysen zeigen: Das Tier ist enger mit Nasenbeutlern verwandt als mit anderen Beuteltieren - ein Ergebnis, das den bisherigen Forschungsstand weitgehend widerlegt.
Die Beutelmulle, die in ihrer heutigen Form seit etwa 60 Millionen Jahren existieren, sind Meister der Anpassung und bezogen auf die Genfunktion auch für die humanmedizinische Forschung eine interessante Grundlage. In den trockenen Wüsten Australiens leben sie vorwiegend unterirdisch und „tauchen“ auf der Suche nach Nahrung durch den Sand. Dabei haben sie ihre Lebensweise unabhängig von den Maulwürfen anderer Kontinente entwickelt. „Dieses Tier ist in vielerlei Hinsicht einzigartig“, erklärt Dr. Schmitz. „Bisher hatten wir kaum genetisches Material zur Verfügung, um seine Evolution und Biologie zu verstehen. Mit dem entschlüsselten Genom ändert sich das jetzt.“ Eine zentrale Erkenntnis der von Stephen Frankenberg und Andrew Pask von der Universität Melbourne geleiteten Analyse betrifft das Augenlicht: Der Beutelmull verlor seine Sehkraft schrittweise. Vor etwa 16 Millionen Jahren baute sich die Linse zurück, neun Millionen Jahre später verschwand die Fähigkeit, Farben zu erkennen, und schließlich wurde auch das Sehen in Dunkelheit vor drei Millionen Jahren eingestellt. Der Grund: In völliger „Nacht“ gibt es keinen Selektionsdruck, das Sehvermögen zu erhalten.
Auch die Hoden des Beutelmulls haben sich angepasst. „Ein Hoden, der bei Grabaktivitäten stört, ist evolutionär nachteilig“, erklärt Dr. Doronina. Durch eine genetische Veränderung bleiben die Hoden in der Körperhöhle – eine Entwicklung, die unabhängig von anderen grabenden Tieren verlief. Für das Überleben im sauerstoffarmen Wüstensand hat der Beutelmull ein weiteres Ass im Ärmel: Ein bestimmtes Gen für ein fetales Hämoglobin ist bei ihm doppelt vorhanden. Diese Anpassung verbessert den Sauerstofftransport und hilft, selbst in extremer Umgebung zu überleben.
Das Team aus Münster ging der Frage nach, wer die nächsten Verwandten des Beutelmulls sind. Mithilfe sogenannter springender Gene – das sind genetische Abschnitte, deren Anordnung im Erbgut sich bei Fortpflanzung ändern kann – untersuchten die Forschenden die DNA des seltenen Tieres. Sie stießen auf 436 identische Genabschnitte, die ausschließlich bei Nasenbeutlern und dem Beutelmull vorkommen. „Damit ist die Verwandtschaft eindeutig geklärt“, erklärt Liliya Doronina.
Das entschlüsselte Erbgut liefert jedoch weit mehr als Stammbäume. Es zeigt, wie Gene im Lauf von Millionen Jahren ihre ursprüngliche Funktion verlieren – oder neue Funktionen übernehmen, um sich an veränderte Lebensbedingungen anzupassen. „Solche Einblicke helfen, die Evolution besser zu verstehen und lassen ahnen, wie flexibel das Leben auf genetischer Ebene ist“, sinniert Dr. Schmitz lächelnd.