„Wir tragen zum sozialen Ausgleich bei“: Dr. Andreas Bahemann leitet den Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit
Münster (mfm/hms) – Was macht eigentlich ein „Ärztlicher Dienst“ bei einer Bundesagentur für Arbeit? „Das muss ich tatsächlich oft erklären“, lacht Dr. Andreas Bahemann. Als Leiter dieser Abteilung ist er seit 2010 Chef von etwa 900 Ärzten und anderen hauptamtlichen Mitarbeitern in ganz Deutschland. Angefangen hat die Karriere des gebürtigen Berliners in Westfalen – an der Universität Münster studierte er Medizin.
„Unsere Mitarbeiter beraten die Arbeitsvermittler der Bundesagentur, inwiefern Arbeitsuchende aus medizinischer Sicht arbeiten können oder auch nicht“, hat sich Bahemann inzwischen eine griffige Antwort bereitgelegt. Ziel sei es, Menschen zum Einstieg oder zur Rückkehr in einen geeigneten Beruf zu verhelfen, sie also „in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, wie Bahemann es selbst ausdrückt. Seine eigene Aufgabe besteht darin, den Rahmen für die Ärztinnen und Ärzte in den deutschen Arbeitsagenturen abzustecken. So ist er etwa für fachliche Regelungen oder Schulungsunterlagen verantwortlich, damit die Ärzte wissen, wie viele Details sie über den Gesundheitszustand der Kunden an den Arbeitsvermittler herausgeben dürfen, ohne dass Datenschutz und Schweigepflicht verletzt werden.
Biografisch war Bahemann schon immer mit der Westfalenmetropole verbunden: Da seine Eltern aus dem Münsterland nach Berlin gezogen waren, kannte er die Gegend bereits recht gut, als er Anfang der 1980er Jahre – „Damals wurden gerade die Bettentürme der Uniklinik gebaut“ – in Münster Medizin studierte. Nach sechs vorklinischen Semestern in Berlin wechselte er hierher, weil er die Stadt und die Uni sehr attraktiv fand. „Der familiäre Anschluss war natürlich auch einer der leitenden Gründe“, räumt Bahemann ein.
Das Studium in Münster ist ihm in bester Erinnerung. In seinem Jahrgang wurden die Studierenden erstmals in festen Gruppen durch das Studium geleitet. HNO-Klinik, Kinderklinik, Gynäkologie – Bahemann schwärmt noch heute von den mehrwöchigen Praxisphasen seiner Studiengruppe. In diesen Zeiten konnten sich die Studierenden nicht nur mit verschiedenen Fächern vertraut machen, sondern lernten die Handgriffe auch in passenden Übungen und durften selbst schon mit den Patienten arbeiten. „Heute ist das alles selbstverständlich, aber damals gab es selbst in Berlin keine solche Ausbildung“, erklärt Bahemann. Die Innovationen, von denen er profitierte, waren von Studiendekan Prof. Dietrich Habeck entwickelt worden und gingen als „Münstersches Modell“ in die Fachwelt ein.
Bahemanns spätere Karriere als Arbeitsmediziner war alles andere als geplant. Eigentlich hatte er Kinderarzt werden wollen, doch seine Promotion 1984 fiel in eine Zeit der Abteilungsschließungen und des Stellenabbaus in Kinderkliniken – es wurden weniger Kinder geboren. Dennoch fand Bahemann eine Stelle als Assistenzarzt in der Kinderallergologie einer ostwestfälischen Reha-Klinik, wo er zum Allergologen ausgebildet wurde. Das Faible für Arbeitsmedizin packte ihn eher aus Zufall: Ein Freund hatte ihm eine Stelle an der Uni München empfohlen. „Es war natürlich eine große Umgewöhnung, sich aus der klinischen Arbeit mit Kindern heraus auf einmal Erwachsenen im betrieblichen Alltag zuzuwenden. Aber das ist für mich eine sehr gute Entscheidung gewesen.“
Dreieinhalb Jahre forschte der Arzt in der bayrischen Landeshauptstadt, bis er sich dann der Familie zuliebe gegen eine Karriere in der Wissenschaft entschied. 1990 nahm er eine Stelle bei der Bundesagentur für Arbeit an. Bereits 1991 übertrug man ihm die Leitung des Ärztlichen Dienstes in Nordrhein-Westfalen; 2010 folgte der Sprung in die Zentrale der Bundesagentur in Nürnberg. „Meine Arbeit ist sehr erfüllend für mich“, sagt er. „Die Kollegen tragen zum sozialen Ausgleich bei, indem sie dafür sorgen, dass Menschen, die staatliche Unterstützung benötigen, diese auch erhalten. Und unsere Abteilung leistet ihren Beitrag dazu“, so Bahemann. Wie der konkret aussieht, erklärt er an einem Beispiel: Psychische Erkrankungen seien in seinem Bereich heute viel häufiger ein Thema als früher. So bewirkten seine Mitarbeiter, dass etwa Menschen mit einer Depression die Leistungen nicht gekürzt werden, wenn sie einen Agentur-Termin nur deshalb verpassen, weil sie an diesem Tag ein Tief haben und dieses sie an die Wohnung fesselt.
Wie es an den einzelnen Standorten aussieht, weiß Bahemann genau, denn seine Arbeit ist kein normaler Schreibtischjob: „Ich bin eigentlich mehr unterwegs als im Nürnberger Büro“. Er hält gern den Kontakt mit den Regionalverbundleitungen. „Mit einer 40-Stunden-Woche komme ich natürlich nicht aus – erst recht nicht, wenn man die Fahrtzeiten einrechnet“, lacht er. Trotzdem liebt Bahemann seine Arbeit, weil sie einer guten Sache dient. Außerdem hat er einen Ausgleich für den Stress gefunden: Seit vielen Jahren singt er in einem Chor. „Singen ist ja gesundheitsfördernd, aber ich mache es hauptsächlich, weil es mir Freude macht.“
Auch wenn Zeit immer ein knappes Gut ist: Für Münster nimmt Bahemann sie sich jedes Jahr mindestens zwei- oder dreimal: „Mit der Stadt bin ich auch heute noch verbunden und freue mich, wenn ich zu Geschäftsterminen oder Verwandtenbesuchen zurückkehren kann“. Nur mit einem Besuch auf dem Wochenmarkt habe es schon seit Jahren nicht mehr geklappt, bedauert der 56-Jährige. Der Einkauf vor der Domkulisse sei zu Studienzeiten Pflichtprogramm gewesen, „selbst wenn ich mir dann nur ein halbes Pfund Käse und ein paar Weintrauben kaufte“.
Der „Ärztlicher Dienst“ der Bundesagentur für Arbeit
Jede Arbeitsagentur-Niederlassung beschäftigt mindestens eine Ärztin oder einen Arzt, die oder der herangezogen wird, wenn Fragen zur medizinischen Vertretbarkeit eines Berufs auftauchen. Das medizinische Personal der Arbeitsagenturen erstellt Gutachten oder sichtet Befunde anderer Ärzte, um auf dieser Basis die Arbeitsvermittler über die körperlichen Möglichkeiten und Grenzen der Arbeitsuchenden im Hinblick auf eine Berufsausübung zu beraten. Dabei ist die ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Eine Empfehlung kann beispielsweise lauten, dass ein Agentur-Kunde ausschließlich leicht körperlich arbeiten und den Oberkörper nicht über längere Zeit vorbeugen sollte.
(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Die Hinweise stammen aus dem Absolventenregister von MedAlum.)
„Unsere Mitarbeiter beraten die Arbeitsvermittler der Bundesagentur, inwiefern Arbeitsuchende aus medizinischer Sicht arbeiten können oder auch nicht“, hat sich Bahemann inzwischen eine griffige Antwort bereitgelegt. Ziel sei es, Menschen zum Einstieg oder zur Rückkehr in einen geeigneten Beruf zu verhelfen, sie also „in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, wie Bahemann es selbst ausdrückt. Seine eigene Aufgabe besteht darin, den Rahmen für die Ärztinnen und Ärzte in den deutschen Arbeitsagenturen abzustecken. So ist er etwa für fachliche Regelungen oder Schulungsunterlagen verantwortlich, damit die Ärzte wissen, wie viele Details sie über den Gesundheitszustand der Kunden an den Arbeitsvermittler herausgeben dürfen, ohne dass Datenschutz und Schweigepflicht verletzt werden.
Biografisch war Bahemann schon immer mit der Westfalenmetropole verbunden: Da seine Eltern aus dem Münsterland nach Berlin gezogen waren, kannte er die Gegend bereits recht gut, als er Anfang der 1980er Jahre – „Damals wurden gerade die Bettentürme der Uniklinik gebaut“ – in Münster Medizin studierte. Nach sechs vorklinischen Semestern in Berlin wechselte er hierher, weil er die Stadt und die Uni sehr attraktiv fand. „Der familiäre Anschluss war natürlich auch einer der leitenden Gründe“, räumt Bahemann ein.
Das Studium in Münster ist ihm in bester Erinnerung. In seinem Jahrgang wurden die Studierenden erstmals in festen Gruppen durch das Studium geleitet. HNO-Klinik, Kinderklinik, Gynäkologie – Bahemann schwärmt noch heute von den mehrwöchigen Praxisphasen seiner Studiengruppe. In diesen Zeiten konnten sich die Studierenden nicht nur mit verschiedenen Fächern vertraut machen, sondern lernten die Handgriffe auch in passenden Übungen und durften selbst schon mit den Patienten arbeiten. „Heute ist das alles selbstverständlich, aber damals gab es selbst in Berlin keine solche Ausbildung“, erklärt Bahemann. Die Innovationen, von denen er profitierte, waren von Studiendekan Prof. Dietrich Habeck entwickelt worden und gingen als „Münstersches Modell“ in die Fachwelt ein.
Bahemanns spätere Karriere als Arbeitsmediziner war alles andere als geplant. Eigentlich hatte er Kinderarzt werden wollen, doch seine Promotion 1984 fiel in eine Zeit der Abteilungsschließungen und des Stellenabbaus in Kinderkliniken – es wurden weniger Kinder geboren. Dennoch fand Bahemann eine Stelle als Assistenzarzt in der Kinderallergologie einer ostwestfälischen Reha-Klinik, wo er zum Allergologen ausgebildet wurde. Das Faible für Arbeitsmedizin packte ihn eher aus Zufall: Ein Freund hatte ihm eine Stelle an der Uni München empfohlen. „Es war natürlich eine große Umgewöhnung, sich aus der klinischen Arbeit mit Kindern heraus auf einmal Erwachsenen im betrieblichen Alltag zuzuwenden. Aber das ist für mich eine sehr gute Entscheidung gewesen.“
Dreieinhalb Jahre forschte der Arzt in der bayrischen Landeshauptstadt, bis er sich dann der Familie zuliebe gegen eine Karriere in der Wissenschaft entschied. 1990 nahm er eine Stelle bei der Bundesagentur für Arbeit an. Bereits 1991 übertrug man ihm die Leitung des Ärztlichen Dienstes in Nordrhein-Westfalen; 2010 folgte der Sprung in die Zentrale der Bundesagentur in Nürnberg. „Meine Arbeit ist sehr erfüllend für mich“, sagt er. „Die Kollegen tragen zum sozialen Ausgleich bei, indem sie dafür sorgen, dass Menschen, die staatliche Unterstützung benötigen, diese auch erhalten. Und unsere Abteilung leistet ihren Beitrag dazu“, so Bahemann. Wie der konkret aussieht, erklärt er an einem Beispiel: Psychische Erkrankungen seien in seinem Bereich heute viel häufiger ein Thema als früher. So bewirkten seine Mitarbeiter, dass etwa Menschen mit einer Depression die Leistungen nicht gekürzt werden, wenn sie einen Agentur-Termin nur deshalb verpassen, weil sie an diesem Tag ein Tief haben und dieses sie an die Wohnung fesselt.
Wie es an den einzelnen Standorten aussieht, weiß Bahemann genau, denn seine Arbeit ist kein normaler Schreibtischjob: „Ich bin eigentlich mehr unterwegs als im Nürnberger Büro“. Er hält gern den Kontakt mit den Regionalverbundleitungen. „Mit einer 40-Stunden-Woche komme ich natürlich nicht aus – erst recht nicht, wenn man die Fahrtzeiten einrechnet“, lacht er. Trotzdem liebt Bahemann seine Arbeit, weil sie einer guten Sache dient. Außerdem hat er einen Ausgleich für den Stress gefunden: Seit vielen Jahren singt er in einem Chor. „Singen ist ja gesundheitsfördernd, aber ich mache es hauptsächlich, weil es mir Freude macht.“
Auch wenn Zeit immer ein knappes Gut ist: Für Münster nimmt Bahemann sie sich jedes Jahr mindestens zwei- oder dreimal: „Mit der Stadt bin ich auch heute noch verbunden und freue mich, wenn ich zu Geschäftsterminen oder Verwandtenbesuchen zurückkehren kann“. Nur mit einem Besuch auf dem Wochenmarkt habe es schon seit Jahren nicht mehr geklappt, bedauert der 56-Jährige. Der Einkauf vor der Domkulisse sei zu Studienzeiten Pflichtprogramm gewesen, „selbst wenn ich mir dann nur ein halbes Pfund Käse und ein paar Weintrauben kaufte“.
Der „Ärztlicher Dienst“ der Bundesagentur für Arbeit
Jede Arbeitsagentur-Niederlassung beschäftigt mindestens eine Ärztin oder einen Arzt, die oder der herangezogen wird, wenn Fragen zur medizinischen Vertretbarkeit eines Berufs auftauchen. Das medizinische Personal der Arbeitsagenturen erstellt Gutachten oder sichtet Befunde anderer Ärzte, um auf dieser Basis die Arbeitsvermittler über die körperlichen Möglichkeiten und Grenzen der Arbeitsuchenden im Hinblick auf eine Berufsausübung zu beraten. Dabei ist die ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Eine Empfehlung kann beispielsweise lauten, dass ein Agentur-Kunde ausschließlich leicht körperlich arbeiten und den Oberkörper nicht über längere Zeit vorbeugen sollte.
(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Die Hinweise stammen aus dem Absolventenregister von MedAlum.)