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Bohrer versus Zeichenstift: Thomas Röhner studierte Zahnmedizin - und machte den "Wackelzahn" populär

Einst Verlagsgebäude, heute Café: Thomas Röhner vor seiner früheren Arbeitsstätte (Foto: pc)

Münster (mfm/pc) - „Damals bin ich hier ganz selbstverständlich ein- und ausgegangen“, erzählt Thomas Röhner. „Coppenrath war noch ein kleiner Verlag, die Atmosphäre familiär. Meine Entwürfe legte ich zum Anschauen auf den Boden, und der Hund der Familie Hölker kaute gern ein wenig daran herum.“ Das ist zwanzig Jahre her. Wolfgang Hölker ist mit seinen Mitarbeitern längst zum Hafen umgezogen. Der ehemalige Zahnmedizinstudent Thomas Röhner arbeitet inzwischen erfolgreich als Illustrator und Autor von Kinder- und Jugendbüchern, und das denkmalgeschützte rote Haus in der Martinistraße 2, einst Domizil der Verlage Coppenrath und Hölker, beherbergt heute ein Café. Hier lässt es sich bei einem Cappuccino gut über frühere Zeiten plaudern.
Wie so oft spielte auch bei der ungewöhnlichen Karriere des heutigen Wahl-Hamburgers Thomas Röhner der Zufall eine nicht unerhebliche Rolle. 1955 in Würzburg geboren, verbrachte er seine ersten Lebensjahre in einem Dorf bei München und seine Schulzeit in Bamberg. Nach dem Abitur schrieb er sich zunächst für Humanmedizin in Würzburg ein, wollte dann doch lieber Zahnarzt werden und erhielt in Münster einen Studienplatz. In der Domstadt fühlte er sich schnell heimisch: „Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, in einer Großstadt zu leben. Am Anfang habe ich die vielen neuen Eindrücke regelrecht aufgesogen.“
Theater, Museen, Cafés lockten – und Röhners Studium zog sich hin. Das lebhafte kulturelle Leben in der Stadt animierte ihn, selbst wieder zu zeichnen. Eine Leidenschaft, die ihn schon als Kind gepackt hatte. Da hatte er seiner Mutter nachgeeifert, die Grundschullehrerin war und mit sicherem Strich ein Abbild der Welt zu Papier bringen konnte. Jetzt als Student stellte er seine Bilder in kleinerem Rahmen aus und verdiente mit Schaufensterdekorationen nebenher etwas Geld. Das große Fenster des ’Milch & Honig’ – so hieß damals ein Naturkostgeschäft an der Warendorfer Straße – verwandelte er jeden Monat aufs Neue in einen fröhlich-farbigen Hingucker. „Wolfgang Hölker fuhr morgens auf seinem Weg zur Arbeit immer daran vorbei“, erzählt Röhner. „Eines Tages hielt er an und fragte den Ladeninhaber: ‚Sagen Sie mal, wer malt da eigentlich immer ihr Schaufenster aus’?“
Auf einmal zwei Berufe
Bald waren der Zahnmedizinstudent und der Verlagschef per Du. „’Unser Teddybärenbuch wollen wir neu illustrieren, 28 Seiten, zwei Monate Zeit. Kannst du dir das vorstellen?’, fragte mich Hölker. Damals stand ich kurz vor meiner Abschlussprüfung, und ich war hin- und hergerissen“, erinnert sich Röhner. „Einerseits wusste ich: Du musst dich für das Examen jetzt ordentlich ins Zeug legen. Andererseits war mir klar: Andere träumen von so einer Chance und bekommen sie nie.“ So kam noch vor Beginn der Prüfungen Thomas Röhners erstes Buch „Wenn Teddybären schlafen gehen“ heraus – und verkaufte sich gut.
Der frisch gebackene Kinderbuch-Illustrator hielt wenig später auch sein Abschlusszeugnis in Händen. Jetzt hatte er viel Zeit. Wolfgang Hölker macht ihm das Angebot, ganz bei Coppenrath einzusteigen. „Doch damals konnte ich mir das nicht vorstellen. Endlich hatte ich mein Zahnmedizin-Studium abgeschlossen und wollte den Beruf auch ausüben.“ Ein Kompromiss wies ihm schließlich den Weg aus dieser Zwickmühle: Ein Dreivierteljahr lang arbeitete der junge Zahnmediziner als Illustrator für Coppenrath. Erste Erfahrungen als angestellter Zahnarzt sammelte er in Lünen und wechselte dann nach Hamburg, wo er 1994 eine eigene Praxis eröffnete.
„Ich dachte, wenn ich erst im Beruf stehe, schläft das mit den Kinderbüchern bald ein. Aber es kamen immer wieder Aufträge.“ So saß der Zahnarzt an Wochenenden meist am Schreibtisch und zeichnete. 1999 erschien mit dem „Wackelzahnbuch“, wiederum im Coppenrath Verlag, einer von Röhners Bestsellern. Die fachkundigen Texte und Zeichnungen sowie interaktive Elemente wie etwa ein herausnehmbarer „Wackelzahn“ vermitteln Vorschulkindern auf unterhaltsam-witzige Weise alles, was sie über den Wechsel vom Milchgebiss zu den bleibenden Zähnen wissen müssen – und natürlich wie sie ihre Zähne gesund erhalten. Inzwischen ist das Buch in 15 europäische Sprachen übersetzt und über 220.000 Mal verkauft geworden. Thomas Röhners Co-Autorin ist Iwona Radünz, eine gelernte Prophylaxe-Assistentin. „Ein wahrer Glücksfall“, meint der Zahnarzt. „Der Verlag hat uns beide zusammengebracht. Mir gefiel natürlich besonders, dass ich meinen medizinischen Sachverstand hier einbringen konnte.“
Mit den Illustrationen lief es also bestens. Parallel verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen für Zahnärzte: Der „Papierkram“ wuchs, zugleich senkten die gesetzlichen Kassen ihre Vergütungen. Hinzu kam, dass mit Ende vierzig Röhners erste Ehe in die Brüche ging. Er schlitterte in eine private Krise. Schließlich war es seine neue Partnerin und jetzige Ehefrau, die ihn darin bestärkte, entgegen so mancher Bedenken in Familie und Freundeskreis die Zahnarztpraxis zu verkaufen. Seit 2002 arbeitet Thomas Röhner ausschließlich als freier Illustrator und Autor. Mehr als 30 Titel hat er mittlerweile illustriert oder getextet oder beides. Von vielen seiner Bücher gibt es auch fremdsprachige Ausgaben. Die bekannteste seiner Figuren ist „Ferdinand der Elefant“, das Maskottchen der Aktion „Ein Herz für Kinder“.
Rückkehr nicht ausgeschlossen
Eine gute Beobachtungsgabe sowie Sorgfalt und Disziplin beim Arbeiten – manche seiner Stärken seien in beiden Berufen gefragt, meint der Illustrator: „So eine gewisse spielerische Sichtweise auf die Dinge habe ich mir aber auch in der Medizin bewahrt.“ Sein Studium an der Medizinischen Fakultät in Münster hat er in guter Erinnerung. „Die Zahnklinik war damals ganz neu und modern. Wir haben eine sehr gute, stark praxisbezogene Ausbildung erhalten. So etwas weiß man erst im Nachhinein richtig zu schätzen“, sagt der Alumnus und verweist auf ein Goldinlay, das ihm damals ein Kommilitone eingesetzt hat: „Das sitzt immer noch tadellos!“. Als er während des Studiums einmal einen „Hänger“ hatte, weil ihm der direkte Kontakt zum Patienten zunächst schwer fiel, wandte er sich an Prof. Hans Müller-Fahlbusch. Der Neurologe und Psychiater leitete damals in Münster die Forschungsstelle für Psychopathologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde. „Ich bin zu ihm in die Sprechstunde gegangen und habe ihm meine Schwierigkeiten geschildert“, berichtet der ehemalige Student. „‚Sie sind nicht der Einzige, dem es so geht’“, sagte Fahlbusch zu mir. Das hat mir damals unheimlich gut getan.“
Der „Behandler“ ist in Thomas Röhner bis heute präsent. So freut es ihn stets, wenn er für die Gestaltung von Kinderambulanzen und Kinderarztpraxen engagiert wird. „Da benutzt der Elefant auch mal ein Stethoskop oder schreibt gerade ein Rezept. Damit möchte ich den kleinen Patienten ein wenig die Angst vor der Untersuchung nehmen“, sagt der Künstler, der in einem Altbauviertel im Zentrum Hamburgs wohnt und gern mit dem Rad bis in die Vororte fährt, um mit einem Kopf voller Bilder zurückzukehren. Den Rest erledigt dann die Phantasie. Für Thomas Röhner muss es jetzt aber nicht mehr unbedingt die ganz große Stadt sein. Nach Münster kommt er oft – und gern. „Vielleicht kehre ich ja einmal ganz zurück“, sagt er beim Abschied.

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