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Den Medizinsektor stärker für häusliche Gewalt sensibilisieren: Europaweites Projekt VIPROM läuft an

Gruppenbild mit Sprecherin: An der WWU Münster gaben 23 Teilnehmende, darunter Prof. Bettina Pfleiderer (M.), den Startschuss für das Projekt VIPROM zur Früherkennung häuslicher Gewalt (Foto: WWU / Erk Wibberg)

Münster (mfm/jg) – Die meisten Menschen haben eines gemeinsam: Dann und wann gehen sie zum Hausarzt, zur Zahnärztin, viele auch zur Geburtshilfe. Beschäftigte des medizinischen Sektors treffen daher häufig auf Opfer häuslicher Gewalt – wie man den Missbrauch erkennt und den Betroffenen gezielt helfen kann, haben viele allerdings nur unzureichend gelernt. Das auf drei Jahre angesetzte Projekt „Victim Protection in Medicine“ (Opferschutz in der Medizin; VIPROM) will das ändern: Von der Europäischen Union mit 1,6 Millionen Euro gefördert, erarbeiten Partner aus Schweden, Österreich, Italien, Griechenland und Deutschland gemeinsam Ansätze, um das Thema in den Lehrplänen nachhaltig zu stärken. Koordiniert wird das Projekt von Bettina Pfleiderer, Professorin an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Die Hochschule war jetzt Schauplatz für die Auftaktveranstaltung des internationalen Vorhabens.

Häusliche Gewalt umfasst sowohl körperlichen als auch seelischen Machtmissbrauch in einer Beziehung im nahen persönlichen Umfeld. Sie kann alle sozialen Gruppen betreffen, ob Frauen, Männer, Kinder oder behinderte Menschen. Fachleute wissen: Aufgrund von Berührungsängsten wenden sich nur wenige Opfer an die Polizei - und viele suchen sich auch anderweitig keine Hilfe. „Hier kommen wir, der medizinische Sektor, ins Spiel“, sagt Prof. Pfleiderer, die nicht nur Sprecherin ihres selbsterklärten „Herzensprojekts“ ist, sondern dieses auch in großen Teilen konzipiert hat. „Statistisch treffen wir mindestens einmal am Tag auf Betroffene – oft sind wir dann die einzigen Ersthelfenden. Wenn wir versagen und die Gewaltsymptome nicht erkennen, lassen wir die Opfer allein.“

Wie können sich Beschäftigte aus dem Medizinbereich für diese wichtige, zugleich auch herausfordernde Aufgabe wappnen? Bei der Entwicklung von Strategien, Lehrformaten und Lehrmaterialien folgt VIPROM vor allem zwei Ansätzen: „Zum einen wollen wir innovative Trainingssimulationen für die verschiedenen Gruppen von Ersthelfenden erarbeiten, zum anderen Programme für die Lehrenden, die die Trainingseinheiten leiten“, so Bettina Pfleiderer. Neben allgemeinen Informationen zur häuslichen Gewalt, Kommunikationsstrategien und Risikofaktoren fokussiert sich das Projekt exemplarisch auf die Bereiche Chirurgie und Gynäkologie. Während Beschäftigte des erstgenannten Sektors etwa in der Notaufnahme mit schwerwiegenden physischen Verletzungen konfrontiert werden, sind Schwangerschaften für Opfer häuslicher Gewalt ein Risikofaktor, der den Missbrauch noch eskalieren lassen kann. Nach drei Jahren der Entwicklung, Evaluierung und Optimierung unter dem Dach von VIPROM sollen die Konzepte langfristig in ein Pflichtcurriculum münden.

Die Partner nutzen Materialien zur häuslichen Gewalt, die die Trainingsplattform der vorangegangenen EU-Projekte IMPROVE und IMPROVDA bereitstellt. Um die Lehre möglichst passgenau für die unterschiedlichen Fachdisziplinen und länderspezifischen Voraussetzungen zu gestalten, sind neben den verschiedenen Berufsgruppen auch Studierende beteiligt. Aber: Interdisziplinarität ist weiterhin die Devise. Zwar konzentrieren sich die Materialien auf die definierten Zielgruppen, berücksichtigen jedoch auch die Zusammenarbeit der einzelnen Bereiche, wie sie „in echt“ am Arbeitsplatz vorkommt. „Zudem kann jeder Standort durch seine besonderen Stärken die Bandbreite der Ergebnisse bereichern“, betont Pfleiderer. „Wir in Münster haben zum Beispiel viel Erfahrung mit dem Einsatz von Simulationspatientinnen und -patienten.“

Am Standort der Professorin sind von der Medizinischen Fakultät das Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten (IfAS), die Zahnmedizin und die Hebammenwissenschaft beteiligt; aus dem Universitätsklinikum Münster kommen als Kooperationspartner die Pflege und die Gleichstellungsbeauftragte hinzu.

Mehr Informationen gibt es auf der VIPROM-Homepage

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