News
"Für jeden Versuch mit Tieren braucht es verdammt gute Gründe": Der Medizinprofessor und die Theologische Zoologie
Warum der Naturwissenschaftler und Reproduktionsmediziner Prof. Stefan Schlatt beim neuen Institut für Theologische Zoologie mitwirkt
Münster (mfm/tb) - Einerseits vermenschlichen und verhätscheln wir sie, finden den Berliner Eisbären Knut „einfach süß“. Sie bekommen Futter in Feinkostqualität serviert und ruhen auf eigenen Friedhöfen. Andererseits haben wir Tiere buchstäblich „zum Fressen gern“, stecken sie in enge Käfige und nutzen ihre Dienste, damit die neue Hautcreme keinen Ausschlag erzeugt. Welche Haltung haben wir also eigentlich gegenüber dem Tier? Behandeln wir es entsprechend unserer christlich-abendländischen Kultur? Und: Wie wirkt unser Verständnis der Tiere auf unser eigenes Selbstbild als Menschen zurück?
Vor über einem Jahr fragte der Priester und Wissenschaftler Dr. Rainer Hagencord seinen ehemaligen Studienkollegen Prof. Stefan Schlatt, ob dieser als Kuratoriumsmitglied bei einem geplanten Institut für Theologische Zoologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Münster mitwirken wolle. Schlatt sagte zu. Der Professor der Medizinischen Fakultät der Uni Münster und Leiter der Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) hat eine äußerst seltene Fächerkombination studiert: außer Biologie auch Katholische Theologie.
Schlatt mag Tiere sehr; von seinem Schreibtisch in der Domagkstraße aus blickt er auf ein Aquarium mit bunten Tropenfischen. Gleichzeitig kommt er als Forscher nicht darum herum, Experimente mit Tieren durchzuführen. „In das Kuratorium sollten auch Leute wie Norbert Sachser von der Neuro- und Verhaltensbiologie und ich, die sehr praxisnah mit Tieren arbeiten und diese dabei ein gutes Stück instrumentalisieren“, sagt Schlatt. „Für jeden Versuch, den wir als Naturwissenschaftler mit und an Tieren durchführen, benötigen wir verdammt gute Gründe.“
Ein neuer Blick auf die Tiere
Und genau darum geht es: Begründungen zu finden dafür, wie wir Menschen mit Tieren umgehen. Das Institut, dessen Ende 2009 erfolgte Gründung ein immenses Medien-Echo - und vereinzelt auch Kritik - hervorrief, möchte aus einem theologischen Ansatz heraus Argumente liefern und Leitlinien definieren: Was ist vertretbare Forschung an Tieren? Wie sieht verantwortbare Tierhaltung aus?
Schon in seinem 2005 erschienenen Buch „Diesseits von Eden“ lieferte Rainer Hagencord „verhaltensbiologische und theologische Argumente für eine neue Sicht der Tiere“, so der Untertitel seiner Dissertation. Sie wurde unter anderem in „Spektrum der Wissenschaft“ rezensiert – und dabei sehr gelobt. „Die Tiere sind nicht aus dem Paradies vertrieben worden, sie sind im Unterschied zum Menschen in der Unmittelbarkeit Gottes geblieben“, benennt Hagencord eines seiner zentralen Argumente. Mit dem „Sündenfall“ habe ein für unser Menschsein notwendiger Emanzipationsprozess begonnen, unsere Entfremdung vom Tier sei insofern notgedrungen. Dies rechtfertige jedoch nicht den „ideengeschichtlichen Ausschluss“ der Tiere aus der abendländischen Philosophie und Theologie. Es gelte die Tiere mit „unsentimentalem Blick“ zu betrachten, ihnen aber trotzdem einen eigenen Wert zuzumessen, wie sie ihn in der Bibel und auch den Äußerungen des Heiligen Franziskus haben. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit Tieren schließt nach Hagencords Auffassung deren „Nutzung“ als Nahrung oder für die medizinische Forschung nicht von vornherein aus.
Erkenntnisse der Biologie sind Tatsachen
Bei der Frage der Massentierhaltung sei leichter ein Konsens zu erzielen als bei der Frage nach Tierversuchen, betont Stefan Schlatt. Als Forscher hat er selbst schon zahlreiche physiologische Studien an so unterschiedlichen Tierarten wie Molchen, Mäusen und Affen durchgeführt, um neue Erkenntnisse zur Fortpflanzung zu gewinnen. Die Haltung der Gesellschaft sei oft widersprüchlich: Tierversuche in der Grundlagenforschung seien oft weniger umstritten als angewandte Forschung. Und auch innerhalb der klinischen Studien würden wiederum unterschiedliche Maßstäbe angesetzt. Schlatt: „Jeder zeigt zum Beispiel Verständnis dafür, wenn wir jugendlichen Tumorpatienten eine realistische Chance auf eine spätere Vater- oder Mutterschaft ermöglichen wollen.“
Anders sehe es bei pharmakologischen Tests aus. Diese würden meist abgelehnt, zugleich werde höchste Sicherheit bei Medikamenten und Medizinprodukten erwartet. „Hätte man Contergan damals an Affen getestet, wäre die Toxizität dieses Medikaments für das ungeborene Kind aufgefallen“, nennt der Reproduktionsmediziner ein Beispiel. Daher sei weiterhin bei jedem einzelnen Forschungsvorhaben zu fragen: Was ist vertretbar? Die Zahl der Tiere in experimentellen Studien kritisch zu kontrollieren und die Haltungsbedingungen zu optimieren, darin sei er als Wissenschaftler ständig gefordert.
„Die Leiderfahrung eines Insekts ist eine andere als die höher entwickelter Tiere“, gibt Schlatt zu bedenken. Gleichzeitig warnt er davor, Primaten und ihr teilweise dem Menschen ähnliches Verhalten so zu deuten, dass diese dieselben Gefühle hätten wie ein Mensch. In den Erkenntnissen der modernen biologischen Forschung sehen sowohl Schlatt als auch Hagencord Tatsachen. Von Kreationisten, die die Bibel wörtlich auslegen, grenzt sich das Institut klar ab. Es will Brücken bauen und den Dialog fördern zwischen zwei – vermeintlich? - so unterschiedlichen Denkrichtungen wie der theologischen und der naturwissenschaftlichen.
Institut für Theologische Zoologie
Münster (mfm/tb) - Einerseits vermenschlichen und verhätscheln wir sie, finden den Berliner Eisbären Knut „einfach süß“. Sie bekommen Futter in Feinkostqualität serviert und ruhen auf eigenen Friedhöfen. Andererseits haben wir Tiere buchstäblich „zum Fressen gern“, stecken sie in enge Käfige und nutzen ihre Dienste, damit die neue Hautcreme keinen Ausschlag erzeugt. Welche Haltung haben wir also eigentlich gegenüber dem Tier? Behandeln wir es entsprechend unserer christlich-abendländischen Kultur? Und: Wie wirkt unser Verständnis der Tiere auf unser eigenes Selbstbild als Menschen zurück?
Vor über einem Jahr fragte der Priester und Wissenschaftler Dr. Rainer Hagencord seinen ehemaligen Studienkollegen Prof. Stefan Schlatt, ob dieser als Kuratoriumsmitglied bei einem geplanten Institut für Theologische Zoologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Münster mitwirken wolle. Schlatt sagte zu. Der Professor der Medizinischen Fakultät der Uni Münster und Leiter der Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) hat eine äußerst seltene Fächerkombination studiert: außer Biologie auch Katholische Theologie.
Schlatt mag Tiere sehr; von seinem Schreibtisch in der Domagkstraße aus blickt er auf ein Aquarium mit bunten Tropenfischen. Gleichzeitig kommt er als Forscher nicht darum herum, Experimente mit Tieren durchzuführen. „In das Kuratorium sollten auch Leute wie Norbert Sachser von der Neuro- und Verhaltensbiologie und ich, die sehr praxisnah mit Tieren arbeiten und diese dabei ein gutes Stück instrumentalisieren“, sagt Schlatt. „Für jeden Versuch, den wir als Naturwissenschaftler mit und an Tieren durchführen, benötigen wir verdammt gute Gründe.“
Ein neuer Blick auf die Tiere
Und genau darum geht es: Begründungen zu finden dafür, wie wir Menschen mit Tieren umgehen. Das Institut, dessen Ende 2009 erfolgte Gründung ein immenses Medien-Echo - und vereinzelt auch Kritik - hervorrief, möchte aus einem theologischen Ansatz heraus Argumente liefern und Leitlinien definieren: Was ist vertretbare Forschung an Tieren? Wie sieht verantwortbare Tierhaltung aus?
Schon in seinem 2005 erschienenen Buch „Diesseits von Eden“ lieferte Rainer Hagencord „verhaltensbiologische und theologische Argumente für eine neue Sicht der Tiere“, so der Untertitel seiner Dissertation. Sie wurde unter anderem in „Spektrum der Wissenschaft“ rezensiert – und dabei sehr gelobt. „Die Tiere sind nicht aus dem Paradies vertrieben worden, sie sind im Unterschied zum Menschen in der Unmittelbarkeit Gottes geblieben“, benennt Hagencord eines seiner zentralen Argumente. Mit dem „Sündenfall“ habe ein für unser Menschsein notwendiger Emanzipationsprozess begonnen, unsere Entfremdung vom Tier sei insofern notgedrungen. Dies rechtfertige jedoch nicht den „ideengeschichtlichen Ausschluss“ der Tiere aus der abendländischen Philosophie und Theologie. Es gelte die Tiere mit „unsentimentalem Blick“ zu betrachten, ihnen aber trotzdem einen eigenen Wert zuzumessen, wie sie ihn in der Bibel und auch den Äußerungen des Heiligen Franziskus haben. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit Tieren schließt nach Hagencords Auffassung deren „Nutzung“ als Nahrung oder für die medizinische Forschung nicht von vornherein aus.
Erkenntnisse der Biologie sind Tatsachen
Bei der Frage der Massentierhaltung sei leichter ein Konsens zu erzielen als bei der Frage nach Tierversuchen, betont Stefan Schlatt. Als Forscher hat er selbst schon zahlreiche physiologische Studien an so unterschiedlichen Tierarten wie Molchen, Mäusen und Affen durchgeführt, um neue Erkenntnisse zur Fortpflanzung zu gewinnen. Die Haltung der Gesellschaft sei oft widersprüchlich: Tierversuche in der Grundlagenforschung seien oft weniger umstritten als angewandte Forschung. Und auch innerhalb der klinischen Studien würden wiederum unterschiedliche Maßstäbe angesetzt. Schlatt: „Jeder zeigt zum Beispiel Verständnis dafür, wenn wir jugendlichen Tumorpatienten eine realistische Chance auf eine spätere Vater- oder Mutterschaft ermöglichen wollen.“
Anders sehe es bei pharmakologischen Tests aus. Diese würden meist abgelehnt, zugleich werde höchste Sicherheit bei Medikamenten und Medizinprodukten erwartet. „Hätte man Contergan damals an Affen getestet, wäre die Toxizität dieses Medikaments für das ungeborene Kind aufgefallen“, nennt der Reproduktionsmediziner ein Beispiel. Daher sei weiterhin bei jedem einzelnen Forschungsvorhaben zu fragen: Was ist vertretbar? Die Zahl der Tiere in experimentellen Studien kritisch zu kontrollieren und die Haltungsbedingungen zu optimieren, darin sei er als Wissenschaftler ständig gefordert.
„Die Leiderfahrung eines Insekts ist eine andere als die höher entwickelter Tiere“, gibt Schlatt zu bedenken. Gleichzeitig warnt er davor, Primaten und ihr teilweise dem Menschen ähnliches Verhalten so zu deuten, dass diese dieselben Gefühle hätten wie ein Mensch. In den Erkenntnissen der modernen biologischen Forschung sehen sowohl Schlatt als auch Hagencord Tatsachen. Von Kreationisten, die die Bibel wörtlich auslegen, grenzt sich das Institut klar ab. Es will Brücken bauen und den Dialog fördern zwischen zwei – vermeintlich? - so unterschiedlichen Denkrichtungen wie der theologischen und der naturwissenschaftlichen.
Institut für Theologische Zoologie