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Hat der Mensch ein „Bildungsgen“? Internationale Mammut-Studie zu genetischer Veranlagung für Bildungserfolg

Prof. Dr. Klaus Berger, Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster und einer der Beteiligten der Science-Publikation (Foto: privat)

Münster (mfm/tw) – Bestimmt die Genetik den Bildungserfolg mit? In einer groß angelegten internationalen Studie konnten Forscher aus mehr als 100 Institutionen weltweit erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau und Genvarianten im menschlichen Erbgut nachweisen. Einen Anlass zu Fatalismus liefern die Ergebnisse aber nicht: Der positive Effekt jeder der drei vom verbreiteten Wildtyp abweichenden Genvarianten, die mit dem Bildungserfolg zusammenhängen, ist sehr klein und entspricht jeweils nur rund einem Monat längerer Schulbildung. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht worden.
Dass Persönlichkeitsmerkmale moderat durch das Erbgut mitbestimmt werden, ist aus Studien bei Zwillingen bekannt. Die moderne Wissenschaft macht es nun möglich, bestimmte Genvarianten zu identifizieren, die auch mit sozialwissenschaftliche Merkmalen, wie Einkommen oder Bildung, zusammenhängen. Der größte Teil des Genoms ist bei allen Menschen identisch – doch an vielen Stellen des Erbguts finden sich kleine Varianten, die unsere genetischen Unterschiede ausmachen.
„Unser Team hat an einer gemeinsamen Auswertung von genomweiten Assoziationsstudien mitgewirkt“, erläutert Prof. Dr. Klaus Berger vom Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster: „Bei solchen Metastudien werden die Ergebnisse vieler einzelner Studien zusammengeführt und in Hinblick auf einzelne Endpunkte, zum Beispiel bestimmte Krankheiten, neu ausgewertet.“ Die münsterschen Wissenschaftler steuerten eine der 54 Kohortenstudien bei, deren Ergebnisse in die gemeinsame Auswertung eingeflossen sind: Daten der „Dortmunder Gesundheitsstudie“.
Das Besondere an der jetzt publizierten internationalen Studie ist, dass hier ein sozialwissenschaftliches Merkmal im Mittelpunkt steht. „In der Vergangenheit wurden vor allem einzelne Krankheiten in den Blick genommen“, sagt Berger. „Hier wurde nun der methodische Ansatz auf den Endpunkt Bildungserfolg übertragen. Er hängt von sehr vielen verschiedenen Einflussfaktoren ab, zum Beispiel von der Erziehung, der Familie, eigenen Vorbildern oder dem Schulsystem.“ Dass auch das Erbgut eine Rolle spielt, war umstritten.
Nach manchen wissenschaftlichen Schätzungen sollen etwa 40 Prozent der Varianz der Bildungsabschlüsse durch genetische Faktoren erklärt werden können. In der internationalen Studie wurde zunächst nach statistischen Zusammenhängen zwischen Genvarianten der Teilnehmer und ihrem Bildungserfolg gesucht. Bildung wurde dabei durch zwei Variablen erhoben, zum einen durch die Zahl der Schuljahre und andererseits durch einen erreichten Hochschulabschluss. Insgesamt umfassten die 42 Studien der ersten Analysephase mehr als 100.000 Menschen, von denen 95 Prozent 30 Jahre und älter waren. Durchschnittlich hatten die untersuchten Personen 13,3 Jahre des Bildungserwerbs hinter sich und 23,1 Prozent hatten einen Hochschulabschluss.
Variationen an zwei Stellen im genetischen Code hingen signifikant mit dem Erreichen eines Hochschulabschlusses zusammen, bei einer anderen genetischen Variante bestand ein signifikanter Zusammenhang mit den Schuljahren. Dieser war unabhängig vom Geschlecht oder von der Herkunft aus bestimmten Regionen. Die Ergebnisse wurden in einem zweiten Analyseschritt an 25.000 Teilnehmern aus weiteren zwölf Studien unabhängig bestätigt.
Berger warnt vor einer Fehlinterpretation des Zusammenhanges zwischen Genen und dem Bildungserfolg: „Dieser bedeutet nicht, dass Bildungschancen durch das Erbgut beschränkt werden. Die Effekte sind, unabhängig von ihrer statistischen Signifikanz, minimal, eine praktische Relevanz für den Einzelnen ist damit nicht gegeben.“ Mit einer noch größeren Stichprobe, schätzen die Wissenschaftler, könnten bestenfalls 15 Prozent der Bildungsvarianz durch Kombinationen bestimmter Genvarianten erklärt werden.
Auch das wäre noch vergleichsweise wenig – aber dass überhaupt Zusammenhänge zwischen Genvarianten und einem sozialwissenschaftlichen Merkmal nachgewiesen werden konnten, sei bedeutsam, so Berger: „Damit konnte gezeigt werden, dass die früheren, auf viel kleineren Studien basierenden Schätzungen des Einflusses viel zu hoch lagen. Und andererseits lassen sich damit neue Einblicke gewinnen in biologische Modelle, die komplexem Verhalten zugrunde liegen.“

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