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„Notfallmedizin ist ein herausforderndes Gebiet“: Medizinstudenten begleiten Notärzte der Feuerwehr
Münster (upm/ab) - Bei etwa 500 Tagschichten im Jahr können Medizinstudierende der Universität Münster Notärzte der Feuerwehr Münster auf ihren Einsätzen auf zwei Notarzteinsatzfahrzeugen im Stadtgebiet Münster begleiten. Zwei engagierte Studenten sind Tobias Schilling und Luca Krüger, die neben der Notarztbegleitung als Tutoren in der AG Notfallmedizin an der Medizinischen Fakultät tätig sind. Im Interview mit André Bednarz sprechen sie über Ihre Erfahrungen im Rettungsdienst.
Warum haben Sie sich dazu entschieden, Notärzte während Ihres Studiums zu begleiten?
Tobias Schilling: Die Notfallmedizin ist ein spannendes, herausforderndes Gebiet. Es ist ein großes Privileg, dass die Uni und die Feuerwehr Münster uns Studierenden diese Erfahrung ermöglicht. Ich wurde vom ersten Tag ins Team mit einbezogen – das fängt beim gemeinsamen Frühstück an und geht bei den Einsätzen weiter. Wir dürfen alles mitmachen und bekommen all das zu sehen, was notfallmedizinisch anfällt: Kindernotfälle, Schwerverletzte, aber auch Einsätze, die sich am Ende glücklicherweise harmloser darstellen als gedacht.
Luca Krüger: Häufiges ist häufig. Viele Einsätze beruhen auf akuten Erkrankungen des Herz-Kreislauf- Systems oder der Lunge. Diese Notfallbilder – zusätzlich zum theoretischen Erlernen im Rahmen des Studiums – praktisch zu erkennen und zu behandeln ist für mich der Grund, regelmäßig bei den Notärzten in Münster mitzufahren.
Seit wann begleiten Sie die Notärzte?
Schilling: Seit August 2021. Im klinischen Studienabschnitt darf man sich über ein Portal der Feuerwehr für freie Plätze anmelden und einmal pro Monat hospitieren.
Krüger: Ich fahre seit einem Jahr beinahe monatlich auf dem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) der Feuer- und Rettungswache I mit. Diese Gelegenheit bietet sich allen Studierenden, nachdem sie im fünften Semester den „Notfallmedizinischen Grundkurs“ der Anästhesie durchlaufen haben.
Und all das neben dem Studium … Wie lange geht eine Schicht?
Krüger: Das können wir uns aussuchen. Ich starte zum Beispiel gerne morgens um 7 Uhr, wenn die Dienstübergabe stattfindet. Das lohnt sich vor allem bei den ersten Einsätzen für die Studierenden, da genügend Zeit ist, sich an alles zu gewöhnen und das Team um Notfallsanitäter, der das NEF fährt, und Notarzt oder Notärztin kennenzulernen. Bleiben kann man bis abends um 19 Uhr, wenn die Wachablösung der Notfallmediziner und -sanitäter stattfindet.
Hat Ihr bisheriges Studium Sie auf den Einsatz im Rettungsdienst vorbereitet?
Krüger: Das Studium deckt über die Anästhesie Teile der Notfallmedizin ab, etwa durch den einwöchigen Kurs, der Voraussetzung für die Notarztbegleitung ist. In dem Kurs geht es beispielsweise um Abläufe und Maßnahmen wie das ABCDE-Schema oder den Ablauf einer Reanimation, nach denen im Rettungsdienst gearbeitet wird. Darüber hinaus gibt es Anästhesiekurse, etwa für die Reanimation oder die Atemwegssicherung.
Und wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den Notärzten konkret aus?
Schilling: Zunächst prüfen wir mit dem Notarzt und dem Notfallsanitäter das Fahrzeug und die Ausrüstung. Dabei können wir Fragen zu den eingesetzten Geräten, den Notfallrucksäcken oder Medikamenten stellen. An der Einsatzstelle ist der Arzt der erste Ansprechpartner und Teamleader. Oft teilt er uns Aufgaben zu – etwa einen Zugang oder eine Infusion vorbereiten, Angehörige betreuen oder beim Transport des Patienten unterstützen.
Krüger: Bei kritisch kranken Patienten oder unklaren Situationen führen die Notfallmediziner ihre Patientenversorgung regulär durch. Dennoch werden wir Studierenden in den Prozess der Diagnosestellung und Therapieplanung miteingebunden. Wir können einzelne Aufgaben übernehmen wie das Interpretieren von Vitalwerten oder das Abhören der Lunge. Die abschließende Entscheidung über den weiteren Ablauf des Einsatzes bleibt aber natürlich beim Arzt oder der Ärztin. Denn die optimale Versorgung der Patienten steht an oberster Stelle.
Vielleicht wollen Ihnen einige Studierende jetzt nacheifern. Was sollten sie mitbringen, um einen Notarzt zu begleiten?
Schilling: Sie sollten wissbegierig sein und keine Scheu haben, sich einzubringen. Wenn man mitanpackt und Teil des Teams wird, dann ist es für die Rettungsdienstler leichter, uns einzubeziehen. Zusätzlich kann man noch sehr viel lernen.
Neben dem Spaß erleben Sie aber sicher auch viele stressige Momente. Wie belastbar müssen Studierende sein?
Schilling: Wir bekommen alles zu sehen. Wir treffen auf Erkrankte, Verletzte und Angehörige in akuten Ausnahmesituationen. Leider kann es auch vorkommen, dass einem Patienten nicht mehr geholfen werden kann und sämtliche Rettungsversuche frustran waren. Das sind hochbelastende Situationen auch für das Rettungsdienstpersonal. Uns steht dafür an der Wache eine psychosoziale Unterstützung zur Verfügung, die man jederzeit in Anspruch nehmen kann.
Krüger: Außerdem können belastende Einsätze direkt im Anschluss im Rahmen einer Einsatznachbesprechung im Team gemeinsam mit denen verarbeitet werden, die zuvor das Gleiche erlebt haben.
Welche Erlebnisse waren während der Notarztbegleitung für Sie besonders eindrücklich?
Schilling: An einem schönen, bis dahin ruhigen Sommertag wurden wir zu einem schweren Verkehrsunfall in Gievenbeck alarmiert. Ein Sportwagen war mit überhöhter Geschwindigkeit auf einen Kleinwagen aufgefahren. Herausfordernd an der Situation war, dass viele Passanten und Schaulustige vor Ort waren. Neben den fünf Leichtverletzten in dem Sportwagen wurden die Insassen des Klein-PKW schwerstverletzt. Die hochprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.
Krüger: Als Gegenpol dazu habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, dass es in Münster zu manchen Zeiten ziemlich ruhig sein kann. Es kommt durchaus vor, dass wir in zwölf Stunden lediglich zu zwei Einsätzen alarmiert werden. Dann können wir dafür mittags das leckere Essen der Kollegen von der Berufsfeuerwehr genießen und einen ruhigen Tag auf der Wache verbringen.
Haben Sie schon eine Idee, ob Sie Notfallmedizin später weitermachen wollen?
Schilling: Auf jeden Fall! Diese strategisch-durchstrukturierte, herausfordernde Arbeit in jeglichen Situationen ist ein besonderer Zweig der Humanmedizin, den ich gerne weiterverfolgen möchte.
Krüger: Das gilt auch für mich. Anders als in der Klinik ist man während eines Einsatzes für genau einen Patienten zuständig und kann sich auf diesen konzentrieren. Der Vorteil an der Notfallmedizin ist, dass sie flexibel kombinierbar mit verschiedenen medizinischen Fächern ist, dazu wirklich spannend ist und viel Spaß macht. (aus: wissen/leben 5/2024)