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Mehr als nur ein Beruf: Zum Wintersemester startet der neue Studiengang Hebammenwissenschaft

Ultraschalluntersuchungen sind unverzichtbarer Teil der Geburtsvorbereitung (Foto: WWU / E. Wibberg)

Münster (upm) - Wer auf 32 Jahre Berufserfahrung zurückblickt, hat meist eine natürliche Autorität und Glaubwürdigkeit, gerade im Austausch mit jungen Menschen, die sich Gedanken machen, wie und wo sie ihre berufliche Laufbahn beginnen sollen. Und so hallten die Worte von Frauke Wagener während einer digitalen Info-Veranstaltung zum neuen WWU-Studiengang "Hebammenwissenschaft" merklich nach. Die Hebamme und stellvertretende Studiengangleiterin richtete den Blick nicht nur auf die Inhalte des Studiums, sondern sprach auch über persönliche Anforderungen für angehende Hebammen: "Im Laufe der vier Jahre werden Sie sich von jungen Frauen zu sehr erwachsenen, gereiften Persönlichkeiten entwickeln müssen. Das ist nötig, wenn Sie Frauen auf dem Weg zum Muttersein beistehen wollen. Überlegen Sie sich gut, ob Sie diese Ressourcen haben." Es wäre kein Wunder, wenn an dieser Stelle ein Teil der mehreren Dutzend Studieninteressierten heftig geschluckt hätte, schwang doch die ganze Bedeutsamkeit und Ernsthaftigkeit dieses Berufs mit, der hilft, neues Leben auf die Welt zu bringen.

Die Universität Münster hat sich im Sommer 2020 dazu entschlossen, einen Bachelorstudiengang "Hebammenwissenschaft" anzubieten. Hintergrund ist eine europäische Richtlinie, die die vollständige Akademisierung des Berufs bis Ende 2022 vorsieht. Das Studium mit hohem Praxisanteil tritt damit an die Stelle der Hebammenschulen. Laut eines UN-Berichts aus dem Jahr 2021 fehlen weltweit knapp eine Million Hebammen. "In Deutschland erfreut sich der Beruf großer Beliebtheit – die Nachfrage nach Ausbildungs- und Studienplätzen übersteigt die Kapazitäten an Schulen und Hochschulen deutlich", erklärt Sandra Kroner-Beike, Studiengangsleiterin und Hebamme. Nach Angaben des Deutschen Hebammenverbands gab es im Jahr 2019 rund 26.000 Hebammen. Der Mangel resultiere hierzulande daraus, dass viele Hebammen den Beruf frühzeitig aufgeben oder nicht in Vollzeit in der Versorgung arbeiten. Die Akademisierung soll den Beruf breiter aufstellen und die Ausbildung verbessern. "Ein Hebammenstudium eröffnet vielfältige berufliche Perspektiven. Außerdem können sich Hebammen dadurch zukünftig aktiv in die Forschung einbringen und wichtige Beiträge für eine optimale Versorgung leisten", betont Sandra Kroner-Beike.

Das bislang gültige Ausbildungsgesetz datiert aus dem Jahr 1984, seitdem hat sich in Forschung und Praxis jedoch viel verändert: Frauen werden beispielsweise deutlich später schwanger, weshalb es vermehrt zu Risikoschwangerschaften kommt. Zudem hinkt Deutschland in der Akademisierung in Europa hinterher: Hebammen in anderen europäischen Ländern verfügen bereits über Hochschulabschlüsse. An der Universität Münster wird die erste Kohorte mit 24 Studierenden zum Wintersemester 2022/23 das duale Studium aufnehmen. Die WWU unterliegt beim Aufbau des Studiengangs gesetzlichen Vorgaben – wie auch die übrigen drei Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, die Hebammenwissenschaft anbieten.

Das schließt einen eigenen "WWU-Weg" aber nicht aus. Beispielsweise umfasst das Studium an der WWU acht Semester, an anderen Hochschulen steht der Abschluss meist nach sieben Halbjahren an. Prof. Bernhard Marschall, Studiendekan der Medizinischen Fakultät, legt großen Wert darauf, dass den angehenden Hebammen "Kompetenzen vermittelt werden, die über stumpfes Erlernen von Handgriffen hinausgehen". Es gehe darum, einen wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden, der auf Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse arbeite und die akademischen Herangehensweisen verinnerliche. "Die künftigen Hebammen sollen sich als Studierende wahrnehmen und den Uni-Anteil nicht als lästiges Anhängsel empfinden. Sie sollen Einblicke bekommen in andere Uni-Bereiche wie die Sportwissenschaft, Psychologie oder Pädagogik, die als angrenzende Wissenschaften wichtige Impulse für ihre Arbeit geben." Das erweitere den Horizont und die Kooperationsbereitschaft der jungen Menschen. Außerdem können die Studierenden während eines Auslandsaufenthalts Berufserfahrungen in anderen Kulturen und Ländern zu sammeln. "Das ist es, was Akademisierung bedeutet: Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Schon Humboldt hat gesagt: Je mehr man eine Person in einem bestimmten Bereich spezialisiert, desto weniger ist sie in der Lage, über das Gelernte hinauszugehen. Es geht nicht nur darum, einen Beruf zu erlernen, sondern auch, sich persönlich zu entwickeln", erläutert Bernhard Marschall.

Bis es im Oktober losgehen kann, gibt es noch viel zu tun. "Wir haben mündliche Zusagen von unseren Praxispartnern in der Region. Die Verträge mit den Kliniken und freiberuflichen Hebammen müssen nun abgeschlossen und unterschrieben werden", schildert Sandra Kroner-Beike. Zudem stehen die Akkreditierung des Studienprogramms und die berufsrechtliche Zulassung bevor. Außerdem rüstet auch das „Studienhospital“ nach. Das Kompetenzzentrum für medizinische Simulation, in dem die Medizinstudierenden praktisch üben können, bekommt einen Anbau – dort werden die Studierenden in zwei Kreißsälen Geburten simulieren. Eines sollte ihnen aber schon vor Beginn des Studiums klar sein, betont Frauke Wagener: "Hebamme zu sein bedeutet nicht, mit süßen Babys zu kuscheln – das tun nur die Eltern. Aber Hebammen leisten einen einzigartigen Beitrag, wenn sie Frauen und Familien durch diese besondere Zeit begleiten und Leben auf die Welt bringen."   Hanna Dieckmann (wissen|leben, 2/2022)

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