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„Mehr Studien, mehr Statistik, mehr Wissenschaft“: An der Uni Münster entsteht das bundesweit erste Institut für Versorgungsforschung in der Zahnmedizin
Münster(mfm/mw) – Versorgungsforschung: Was ist das überhaupt? Diese Frage hört Institutsleiter Prof. Sebastian-Edgar Baumeister nicht zum ersten Mal - und beantwortet sie in einem Satz: „Allgemein gesagt nehmen wir den medizinischen Alltag ins Visier.“ Daran arbeitet Baumeister mit einem fünfköpfigen Team nun in Münster, mit dem großen Ziel, die Forschung und Lehre in der Zahnmedizin stärker zu verwissenschaftlichen: Die Medizinische Fakultät der Universität Münster (WWU) hat dem neu berufenen Professor die Leitung eines Institutes mit den Schwerpunkten Versorgungs- und epidemiologische Forschung übertragen. Die an der Waldeyerstraße beheimatete Einrichtung ist ein Unikat in Deutschland.
Wie notwendig ist eine solche Einrichtung, wo es doch „eigentlich sehr gut bestellt ist um die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland“, wie Baumeister selbst sagt? „Zum einen gibt es - mit geringen regionalen Unterschieden - aus Patientensicht ausreichend Zahnärzte“, so der Epidemiologe mit langjähriger Berufserfahrung für statistisch-methodische Fragestellungen. „Zum anderen kann auch die medizinische Versorgung als sehr gut bezeichnet werden. So haben wir festgestellt, dass Karies bei Jugendlichen einen starken Rückgang verzeichnet, wobei die Versorgung der alternden Gesellschaft immer mehr zur Herausforderung wird.“, erläutert der Familienvater von zwei Kindern. Gleichwohl sieht Baumeister, der mehrere Jahre in Los Angeles (University of California) forschte, Optimierungsmöglichkeiten: In Münster will er Behandlungsmodelle auf Basis vorhandener Krankenkassendaten anfertigen. Diese Modelle sollen adaptiv sein, also anpassungsfähig, sodass jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt damit seine Kontroll- und Nachsorgeintervalle individueller auf die Patienten abstimmen kann. Die einen sollten aufgrund ihrer Befunde besser alle drei Monate zur Vorsorgeuntersuchung kommen, während es bei anderen reichen würde, sich erst wieder in zwei Jahren vorzustellen. Für dieses Vorhaben hat der gebürtige Münchner neben einer Sekretärin und einem Dokumentar zwei weitere Wissenschaftler an seiner Seite. Zukünftig sollen zwei weitere Stellen - eine zahnärztliche und eine wissenschaftliche - das Team komplettieren.
Ebenso wie in der Humanmedizin ist es auch in der Zahnmedizin seit einigen Jahren der Ansatz, die Studiengänge noch wissenschaftlicher zu gestalten. Fachgebiete wie die Epidemiologie oder Statistik sind Bestandteile der neuen, seit 2020 geltenden Approbationsordnung sowie des „Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloges Zahnmedizin“ (NKLZ). „Durch meine langjährige Erfahrung in der Lehre weiß ich, dass sich die Begeisterung der Studierenden für derartige Themen in Grenzen hält. Oftmals werden die angehenden Ärztinnen und Ärzte in ihrer ersten Vorlesung nur mit trockenen Formeln konfrontiert und nicht mit dem Sinn und der Bedeutung des großen Ganzen. Aber das geht natürlich auch anders“, zeigt sich der 45-Jährige optimistisch.
Im Bereich der epidemiologischen Forschung wird die Arbeitsgruppe Wechselwirkungen von Zahn- und systemischen Erkrankungen untersuchen. Dafür gibt es jetzt schon viele Anknüpfungspunkte zu anderen Kliniken und Instituten innerhalb und außerhalb der Zahnmedizin. Beispielsweise sind chronische Entzündungsreaktionen im Mundraum - hervorgerufen durch die enorme Anzahl an Mikroorganismen - oftmals Ursache von Herz- oder sogar Nervenerkrankungen. Dieser Schwerpunkt auf der Untersuchung kausaler Zusammenhänge in der Zahnmedizin ist bislang einmalig in Deutschland.
Gemeinsam mit Partnerpraxen und Partnerkliniken sollen Modelle und Behandlungsregister zur Risikobewertung und Früherkennung von Krankheiten erstellt werden, so zur Parodontitis. Diese schwere Erkrankung des Zahnhalteapparates zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit. Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie bezifferte allein die Zahl der Deutschen, die unter der schweren Form der Parodontitis leiden, 2017 auf 11,5 Millionen. „Je früher man anhand solcher Modelle den Schweregrad erkennen kann, desto besser kann behandelt werden“, erklärt Baumeister. Neben einer deutlichen Steigerung des Behandlungserfolges sei auch eine finanzielle Ersparnis bei den Krankheitskosten möglich.
Für den Dekan der Medizinischen Fakultät der WWU, Prof. Frank Ulrich Müller, ist das neue Institut eine „höchst erfreuliche Verstärkung unserer Zahnmedizin“. Das Fach hatte 2019 im Gutachten des deutschen Wissenschaftsrates besonders gut abgeschnitten – „und diesen Ruf gilt es zu verteidigen“, sagt Müller.
Maja Wollenburg