Krankheiten mathematisch auf den Grund gehen: Besuch im Institut für Versorgungsforschung in der Zahnmedizin
Münster (mfm/jg) – Was war denn nun zuerst da – das Huhn oder das Ei? Die „Ursachen“, nach denen das Institut für Versorgungsforschung in der Zahnmedizin an der Universität Münster (WWU) fragt, sind zwar weniger philosophisch, für viele Betroffene aber lebenswichtig: Ziel der Einrichtung um Institutsdirektor Prof. Sebastian-Edgar Baumeister ist es, zu klären, ob ein bestimmter Risikofaktor eine Erkrankung auslöst oder eine Behandlung tatsächlich zur Heilung führt. Schließlich könnte es sein, dass nicht die Wirkung dem Auslöser folgt, sondern beides einfach begleitend nebeneinandersteht. Sprich: Die Frage ist die nach Kausalität oder Korrelation. In einer digitalen Veranstaltung des Alumnivereins „medAlum“ der Medizinischen Fakultät stellte Baumeister einem interessierten Publikum die Aufgaben, Herausforderungen und geschichtlichen Hintergründe der eigenen Arbeit vor.
„Typische Fragen, mit denen sich die Versorgungsforschung befasst, sind beispielsweise, ob Cannabiskonsum Lungenkrebs verursacht oder regelmäßiger Sport vor Krankheiten wie Alzheimer, Krebs oder Parkinson schützt. Unser Ziel ist dabei, die entsprechenden Studien so zu gestalten und auszuwerten, dass die Zusammenhänge zwischen potenziellen Risikofaktoren oder Behandlungsmethoden und der Erkrankung oder Heilung so klar wie möglich hervortreten“, beschreibt der Epidemiologe sein „tägliches Brot“. Das Problem: In vielen Fällen ist die Forschung auf Studien angewiesen, bei denen die Probandenverteilung nicht zufällig – also nicht-randomisiert – erfolgt, sondern nach festen Merkmalen. Ein Beispiel: Um die Ursachen von Parodontitis zu erforschen, werden bei einer Kohortenstudie Probandinnen und Probanden ohne Vorerkrankung in zwei Gruppen eingeteilt: in Raucher und Nichtraucher. Es zeigt sich, dass die Raucher die Krankheit häufiger entwickeln – aber: Das Rauchen muss nicht zwangsläufig ursächlich – kausal – sein, sondern kann auch korrelativ auftreten. So treiben viele Raucher weniger Sport; es ist daher nicht eindeutig, welcher der beiden Faktoren – oder ein weiterer, unbekannter Faktor – die Krankheit tatsächlich auslöst.
Diese Art von Verfälschungen nennt sich „Bias“ – und ist einer der Schwerpunkte der Versorgungsforschung: „Unser Ziel ist es, derartige Verzerrungen aufzulösen. Diese treten im Idealfall, den randomisierten Studien, nicht auf. Hier werden die Teilnehmenden ohne Vorerkrankung per Zufall in zwei Vergleichsgruppen eingeteilt, sodass die Voraussetzungen für beide gleich sind. Die Patientinnen und Patienten beider Gruppen sind dann theoretisch austauschbar, sodass ein Bias vermieden wird“, informiert Baumeister. Da randomisierte Studien der Realität am nächsten kommen, sind sie für die Zulassung neuer Medikamente vorgeschrieben. Zum einen sind sie aber aufwändig und teuer, zum anderen bei gefährlichen Risikofaktoren wie dem Rauchen unethisch – dem wirken der Institutsleiter und sein Team entgegen: „Oft ist es nicht möglich, randomisierte Studien durchzuführen. Wir gestalten die Studien aber so, dass wir dem Prinzip so nahe wie möglich kommen. Auch bei der Auswertung versuchen wir, das Bias genau zu identifizieren und somit die Aussagekraft der Daten festzustellen.“
Baumeisters Ansatz entspricht dem Motto, dem sich das bundesweit erste Institut für Versorgungsforschung seit Gründung im Februar 2021 verschrieben hat: „mehr Studien, mehr Statistik, mehr Wissenschaft.“ Nachdem der Epidemiologe einen Einblick in die Arbeit hinter dem Anspruch gewährt hat, wartet im Frühherbst der nächste Termin im Jahresprogramm von medAlum: Am 9. September führen Stephan Triphaus, Geschäftsführer der UKM-Tochterfirma Infrastruktur-Management GmbH, sowie Stefan Rethfeld, Stadtplaner und Architekturhistoriker, durch den Rohbau des aktuell größten Bauvorhabens in Münster, dem Medizinischen ForschungsCentrum (MedForCe).