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MS ist nicht gleich MS: Wegweisende Studie zeigt, dass Multiple Sklerose auf Zellebene drei verschiedene Erscheinungsformen hat
Münster (mfm/sk) - Bisher haben sich auch Experten die Multiple Sklerose (MS) vorgestellt wie die Bühnentechnik eines Stadttheaters: Egal, ob „vorn“ eine Shakespeare-Tragödie gezeigt wird oder ein volkstümlicher Schwank: Hinter den Kulissen passiert mehr oder weniger das Gleiche. Übertragen auf die Krankheit: So facettenreich sie auch ist - der Entzündungsprozess im zentralen Nervensystem ist immer ähnlich. Eine bahnbrechende Studie zeigt nun aber: Diese Annahme ist falsch. Vielmehr gibt es auch auf Zell-Ebene drei Subtypen der Krankheit. Jeder ist durch ein spezifisches Profil von Immunzellen im Blut gekennzeichnet und mit verschiedenen Krankheitsverläufen assoziiert. Dies ergab die Analyse der Blutproben von mehr als 500 MS-Patienten im Frühstadium, die nun im hochkarätigen Fachjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht wurde.
Das internationale Forscherteam mit Leitung an der Universität Münster hat mit seiner Studie nicht nur einen Durchbruch beim Verständnis der Krankheit erzielt. "Diese Ergebnisse sind auch ein entscheidender Schritt in Richtung Präzisionsmedizin bei MS", so Prof. Heinz Wiendl, Direktor der Uniklinik für Neurologie und Koordinator der in Zusammenarbeit mit dem Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) entstandenen Arbeit. „Indem wir die individuellen Variationen des Immunsystems von Patienten verstehen, kommen wir der personalisierten Behandlung näher, die effektiver ist und weniger Nebenwirkungen hat."
Konkret unterscheiden Analysen aus Münster erstmals drei verschiedene Typen der immunologischen Aktivierung, die mit spezifischen Kennzeichen und Krankheitsverläufen einhergehen: den entzündlichen, den degenerativen und einen dritten, den die Wissenschaftler noch nicht im Detail beschreiben können. Patienten mit „entzündlicher“ MS litten im ersten Jahr nach der Diagnose unter mehr Krankheitsschüben und zeigten Läsionen, die auf eine Fehlfunktion der Blut-Hirn-Schranke hinweisen. Wer hingegen die degenerative Form der MS hatte, war von Anfang an schwerer betroffen und die Behinderung schritt schneller voran. Die Neuroimmunologinnen und Neuroimmunologen fanden hier zudem winzige Löcher in der Hirnsubstanz, die Ursache für diesen schweren Krankheitsverlauf sein könnten. Es wird deutlich: Die MS entsteht auf verschiedenen Wegen und hat unterschiedliche Erscheinungsformen im Immunsystem. Da verwundert es nicht, dass auch bestehende Therapien ganz unterschiedlich gut „anschlagen“.
Die Frage „Welche Therapie für wen?“ ist angesichts der Vielzahl von MS-Präparaten zentral: Die meisten Medikamente müssen möglichst früh im Krankheitsprozess eingesetzt werden, da sich einmal zerstörtes Nervengewebe quasi nicht regenerieren lässt. Aktuell können bei der Suche nach dem individuell richtigen Wirkstoff wertvolle Monate vergehen. Die nun gewonnenen Daten könnten diese Suche beschleunigen. Zudem lässt sich mit dem Immunzellprofil besser einschätzen, ob schwere Nebenwirkungen auftreten: "Unsere Studie bietet Klinikerinnen und Klinikern auch ein praktisches Instrument, um den Krankheitsverlauf und das Ansprechen auf eine bestimmte Behandlung vorherzusagen", erklärt Prof. Luisa Klotz, die das Projekt gemeinsam mit Prof. Wiendl leitet, und ergänzt: "Dies ist ein klarer Fortschritt in Richtung einer personalisierten Medizin in der Multiplen Sklerose.“
Derzeit werden diese Analysen noch nicht im klinischen Alltag angewendet. Bis sie Standard sind, kann noch es Jahre dauern, doch hat der Blick hinter die Kulissen der MS gezeigt: Immunsignaturen haben das Potenzial, die Multiple Sklerose schneller, individueller und damit besser zu therapieren. Die aktuelle Studie hat den Weg dafür vorgezeichnet.