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Bislang unterschätzt: Forschende identifizieren piRNAs als genetische Ursache männlicher Unfruchtbarkeit

Die beiden Leiter der Studie Dr. Birgit Stallmeyer und Prof. Frank Tüttelmann (Foto: Uni MS/Florian Kochinke)

Münster (mfm/mew) - Viele Paare bleiben ungewollt kinderlos. Dass die Ursache dafür meist bei der Frau liegt, ist eine weit verbreitete Annahme – und falsch. Inzwischen weiß die Medizin, dass männliche Unfruchtbarkeit genauso häufig zu einem unerfüllten Kinderwunsch führt. Auch die Genetik kann hierbei eine Rolle spielen. Dazu liefern die Arbeitsgruppen um Dr. Birgit Stallmeyer und Prof. Frank Tüttelmann vom Institut für Reproduktionsgenetik der Universität Münster jetzt bahnbrechende neue Erkenntnisse: Ihre in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichte Studie zeigt erstmals, dass Störungen im sogenannten piRNA-Signalweg eine bislang unterschätzte Ursache für eine fehlerhafte Spermienbildung darstellen.

Die Ribonukleinsäure, englisch abgekürzt RNA, ist ein aus Nukleotiden aufgebauter Einzelstrang in jeder Zelle eines Lebewesens und fungiert dort als „Überträger“ genetischer Informationen. Bei der piRNA handelt es sich um spezielle, sehr kleine RNA-Fragmente, die im Hoden vorkommen und dort unter anderem die Aktivität von „Transposons“, auch bekannt als springende Gene, unterdrücken. „Der piRNA-Signalweg wurde bislang hauptsächlich bei Mäusen beschrieben, hingegen fehlten gute Daten zum Menschen bisher“, erklärt Stallmeyer. Um das zu ändern, untersuchte die Arbeitsgruppe die DNA von über 2.000 größtenteils am münsterschen Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie rekrutierten unfruchtbaren Männern auf Varianten in Genen des piRNA-Signalwegs – und die Forschenden wurden fündig.

„Wir konnten 39 Männer mit Veränderungen in insgesamt 14 piRNA-Genen finden. Die meisten dieser Varianten wurden erstmals von uns beschrieben. Unsere Analysen zeigen, dass eine fehlerhafte Regulation von piRNAs deutlich häufiger als bislang angenommen ein Grund für männliche Unfruchtbarkeit ist“, so die Biologin. Außerdem fiel auf, dass sich die Auswirkungen der Genvarianten auf die Spermienbildung bei den Männern und bei den entsprechenden Mausmodellen unterscheiden. Das heißt: Eine direkte Übertragung der bisherigen Erkenntnisse bei Mäusen auf den Menschen ist nicht generell möglich.

Bei einigen Patienten mit piRNA-Veränderung konnten mehr Transposons festgestellt werden: „Eine höhere Zahl der springenden Gene in den Keimzellen führt zu einer Instabilität des Genoms und dadurch zu vielfältigen Störungen der Spermienbildung. Diese reichen von einer veränderten Form bis hin zum kompletten Fehlen von Spermien“, erklärt Prof. Frank Tüttelmann, Direktor des Instituts für Reproduktionsgenetik und des Centrums für Medizinische Genetik sowie Letztautor der Studie.

Zwar lassen sich die neu gefundenen Störungen des piRNA-Signalwegs derzeit noch nicht heilen, doch kann dank der Erkenntnisse in Zukunft bei mehr Männern die richtige Diagnose gestellt werden – für viele Betroffene nach jahrelanger Ungewissheit eine Erleichterung. „Durch weitere Untersuchungen möchten wir feststellen, bei welchen Patienten mittels einer Operation mit Entnahme von Gewebe aus dem Hoden erfolgreich Spermien gewonnen und eine medizinisch-assistierte Reproduktion, also eine künstliche Befruchtung, durchgeführt werden kann. Umgekehrt wollen wir untersuchen, bei wem eine solche Operation keinen Nutzen bringt. Dadurch ermöglichen wir eine zielgerichtete Behandlung“, blickt Tüttelmann nach vorn. Die Studie wurde durch das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) der Medizinischen Fakultät gefördert und entstand in internationaler Zusammenarbeit unter anderem mit Forschenden der University of Edinburgh, der University of Newcastle und der Oregon Health and Science University in den USA.

PubMed-Link zur Studie

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