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Ein Medikament – verschiedene Effekte: Stoffwechsel von Immunzellen beeinflusst Wirkweise und könnte Indikator für Nebenwirkungen sein

Prof. Luisa Klotz und Marie Liebmann analysierten den Immunmetabolismus von Zellen mithilfe von Seahorse-Analysegeräten (Foto: Anna-Lena Börsch)

Münster (sk/mfm) – Die eine kann einen Berg Nudeln verdrücken und trägt dennoch Kleidergröße 36, der andere schaut die Schokolade nur an und nimmt ein Kilo zu: Der Stoffwechsel unterschiedlich – und das nicht nur „gefühlt“. Was für den Organismus insgesamt gilt, trifft auch auf jede einzelne Zelle zu: Der Metabolismus von Zelltypen ist verschieden. Da verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren bei mehreren Autoimmunerkrankungen Stoffwechselstörungen der Immunzellen beobachtet wurden – dazu gehört auch die Multiple Sklerose. Neuroimmunologen der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster habe nun nachgewiesen: Ein Medikament zur Behandlung dieser Krankheit wirkt maßgeblich deshalb, weil es in den Zellstoffwechsel eingreift. Und nicht nur das: Der untersuchte Wirkstoff Dimethylfumarat (DMF) wirkt unterschiedlich – je nachdem, wie die Zellen der Behandelten es verstoffwechseln.

DMF ist eine zugelassene Substanz zur Therapie der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (MS), der die überschießende Immunreaktion im Körper reduziert. Dazu ist bereits bekannt, dass sie die Immunzellen, die diese Reaktion auslösen, in den kontrollierten Zelltod (Apoptose) führt. „Uns war bisher klar, dass durch dieses Medikament Zellen sterben, aber nicht, wie“, sagt Marie Liebmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin aus der Arbeitsgruppe von Prof. Luisa Klotz an der münsterschen Uniklinik für Neurologie. Jetzt ist belegt: Das Medikament steuert gezielt diejenigen Zellen an, die viel Energie umsetzen und dadurch viel Sauerstoff bilden. Durch eine Reaktion führt es dazu, dass noch mehr Sauerstoff gebildet wird, der sich in den Mitochondrien anlagert, den Kraftwerken der Zelle. Dieser Sauerstoff ist jedoch hochreaktiv, wodurch die Zellen in zu großen oxidativen Stress geraten, der sie letztendlich in die Apoptose treibt. Dieser Stress und auch der Zelltod sind in bestimmtem Unfang sogar erwünscht, damit die Aktivierung der Zellen funktioniert.

Problematisch wird der Mechanismus dadurch, dass er nicht immer in gleichem Maß stattfindet. Haben Erkrankte einen durchschnittlichen Immunmetabolismus, so werden nur ungefähr so viele Zellen abgetötet, dass eine normale Immunabwehr möglich bleibt. Bei Patienten mit einem geringen Zellstoffwechsel besteht jedoch die Gefahr, dass zu viele T-Zellen sterben: Die Immunabwehr ist geschwächt, Infektionen werden wahrscheinlicher. Diese Lymphopenie – das Absinken der Zahl von T-Zellen – ist eine bekannte Nebenwirkung von DMF, aber auch von vielen anderen Medikamenten zur Behandlung von Autoimmunität. Unterschreitet die Zellzahl bestimmte Grenzwerte, müssen Therapien unterbrochen werden - das Infektionsrisiko ist zu hoch. Meist kehren dann die überschießende Immunreaktion, die Entzündung und die Symptome einer Autoimmunerkrankung zurück.

Die neueste Forschung des Teams aus Münster - möglich geworden auch durch Unterstützung aus dem Sonderforschungsbereich 128 und dem Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose – könnte helfen, das Risiko solcher Folgen besser einzuschätzen: „Wir können den Zellmetabolismus bestimmen und so prüfen, ob diese Nebenwirkung wahrscheinlich ist“, erläutert Prof. Klotz, die als Oberärztin an der Klinik für Neurologie arbeitet. Das sei aber erst ein Anfang, denn bei DMF handelt es sich nicht um das einzige Medikament, das bei unterschiedlichen Patienten verschieden wirkt. Bereits vor einiger Zeit bewies das Team von Prof. Klotz Ähnliches für die MS-Therapie mit dem Wirkstoff Teriflunomid. „Es lohnt sich ganz sicher, den Zellmetabolismus bei MS-Patienten in den Blick zu nehmen - besonders, wenn wir Patienten künftig individualisierter behandeln wollen“, blickt Prof. Klotz nach vorn.

Pubmed-Link zur Studie

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