Behandlungsraum und große Bühne: Philipp Mathmann ist Stimmheilexperte – und tourt als Sopran durch die Welt
Münster (mfm/sw) – Im Spagat zwischen Musik und Medizin: In Philipp Mathmanns Seele schlummern gleich zwei Leidenschaften. Als der heute 34-Jährige sein Medizinstudium an der Universität Münster (WWU) aufnahm, war die Musik zwar bereits ein Hobby, aber eben nur das - „ein erweiterter Hausgebrauch“, schmunzelt der gebürtige Lippstädter. „Niemals“ hätte hätte er damit gerechnet, aus seinem Hobby einen Beruf zu machen. Das habe sich „im Laufe der Zeit logisch ergeben“ – schwer vorstellbar für geschulte Ohren, denn Mathmann ist mit einer besonderen Gabe gesegnet: Er ist ein Countertenor. Als solcher beherrscht er Stimmlagen, die eigentlich Frauen vorbehalten sind. Steht er nicht auf der Bühne, tauscht er Frack gegen Arztkittel: Als angehender Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie, auch Stimmheilkunde, ging er aufgrund der Corona-Pandemie „back to the roots“ – nach Münster.
Früh übt sich: Bereits als Kind lernte Mathmann Klavierspielen und nahm ab dem Jugendalter Gesangsunterricht. Entscheidend für die Kehrtwende hin zum professionellen klassischen Gesang war die Beobachtungsgabe seines damaligen Chorleiters. Der merkte schnell: Philipp Mathmann singt nicht wie alle anderen. Er konnte – als einziger Mann – im Sopran, der höchsten menschlichen Stimmlage, mithalten. Daraufhin begann das Nachwuchstalent eine Art „Doppelstudium“ und nahm parallel zur Medizin seinen ersten Unterricht als Countertenor bei der Konzertsopranistin Heike Hallaschka. Weitere Impulse kamen von Szenegrößen wie Renate Faltin, Kai Wessel, Emma Kirkby, Annette Goeres und Ingeborg Danz.
Mathmanns musikalische Karriere wurzelt auch in der WWU – nämlich in der Gründung des kammermusikalischen Ensembles „Symphonia Nova“. „Ich kann mich gut an unsere Einführungsveranstaltung im Studium erinnern. Mein Auftrag lautete, Leute zu finden, die Interesse an einem studentischen Streicherensemble haben. Im Hörsaal der Medizinischen Fakultät habe ich dann ganz unerwartet meine ‚Erste Geige‘ kennengelernt.“ Das neue Mediziner- und Mathematiker-Ensemble konzentrierte sich auf Musik des 18. Jahrhunderts – eine Epoche, in der Frauen nicht öffentlich singen durften. Die hohen Stimmlagen übernahmen damals Kastraten – Männer, die ihre Zeugungsfähigkeit opfern mussten, um den Stimmbruch zu vermeiden und die kindlich hohe Stimme zu behalten. „Heute sieht man von dieser Praxis glücklicherweise ab“, lacht Mathmann. Countertenöre arbeiten mit der Kopfstimme, statt wie üblich mit der Bruststimme. Dadurch können die wenigen Ausnahmetalente in Stimmlagen singen, die sonst nur Frauen beherrschen.
Heute, gut zehn Jahre später, steht Mathmann auf Bühnen wie dem neuen Opernhaus Wien, der Kölner Philharmonie oder Theatern in Moskau und Paris, singt regelmäßig bei internationalen Musikfestivals in Utrecht, Brüssel oder Graz. Ohne Corona hätte es ihn als Solist an die Dresdener Semperoper geführt. Ein Highlight in der bisherigen Karriere des jungen Solisten war die Aufnahme seiner ersten Solo-Doppel-CD, die Ende 2020 erschien: „Tormenti d’Amore“. In 27 Titeln singt Mathmann über die Qualen der Liebe, über Eifersucht und Sehnsucht. Drei der vier eingesungenen Kantaten (Gesangsstück aus mehreren Sätzen) sind Weltersteinspielungen von Musik, die seit hunderten Jahren als verloren galt. Die Stücke stammen aus einem Archiv in Sachsen-Meiningen, das sein Freund und Kollege Gerd Amelung, ein Cembalist und Dirigent, auf den Kopf stellte. Lohn der Mühe waren Kompositionen bekannter Größen der klassischen Musik wie Johann Adolf Hasse und Georg Reutter. „Wir hätten mit den Funden aus dem Archiv noch zehn weitere CDs aufnehmen können“, sagt Mathmann. Fürs Erste bleibt es bei aber der einen – Corona machte auch Mathmann einen Strich durch die Rechnung.
Schon vor der Pandemie musste er lernen, dass zwischen Hobby und Beruf Welten liegen: „Von ‚Ausgleich‘ oder ‚Auszeit‘ kann beim professionellen Singen nicht die Rede sein“, räumt der 34-jährige ein. „Nicht nur körperlich, auch psychisch ist der Beruf des Opernsängers eine große Herausforderung. Die Luft wird dünn, wenn man in den großen Häusern als Solist auftreten möchte – da ist eiserne Disziplin gefragt.“ Und: Was viele an der Selbstständigkeit lieben, kann Musikern auch zum Verhängnis werden. Sein eigener Chef zu sein, hat viele Vorteile – allerdings nicht in Corona-Zeiten.
Umso besser, dass der Countertenor noch ein zweites Standbein hat: die Medizin. Ganz besonders schätzt Mathmann am Arztberuf dessen Beständigkeit: „Ich arbeite gern mit anderen Menschen zusammen. In der Klinik haben wir ein festes Team, das – anders als in der Musik – nicht nur ein paar Wochen lang besteht. Im Musikbusiness lernt man immer wieder wunderbare Menschen kennen, aber es ist schwer, die vielen Kontakte aufrechtzuerhalten – obwohl man es gerne würde.“ Insofern ist Philipp Mathmann auch glücklich über seine Rückkehr in die münstersche Universitätsmedizin, ganz besonders aber über die Zusammenarbeit mit Prof. Katrin Neumann, der Direktorin der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie des UKM. Diese sei ein „großer Glücksfall“, so Mathmann, da die Chefin seine „Doppelleidenschaft“ für Musik und Medizin teile. Gemeinsam möchten sie mehr Gesangsforschung betreiben und dabei die Stimmphysiologie unter die Lupe nehmen. So haben sie „als Duo“ einen Lehrauftrag zur Stimmphysiologie für Gesangsstudierende an der Universität der Künste in Berlin. Wenn es 2021 mit der Musik weitergeht – unter anderem mit geplanten Konzerten im Konzerthaus in Freiburg oder am Teatro Real in Madrid – möchte Mathmann auch daher der Medizin nicht wieder komplett den Rücken kehren, sondern beide Welten weiterhin vereinen.
Ob er sich eine Rückkehr zu „Symphonia Nova“ und der reinen Hobby-Musik vorstellen kann? „Das war eine sehr schöne Phase meines Lebens“, so der Westfale, „aber alles hat seine Zeit. Und mit der Zeit gewinnt man nicht nur an Erfahrung, sondern auch an Ernsthaftigkeit gegenüber dem, was man tut.“ Die „studentische Leichtfüßigkeit“ bei Symphonia Nova lasse sich nicht einfach zurückholen, meint der Sänger. In anderer Hinsicht aber ist seine aktuelle Lebensphase eine Rückkehr: Nach sieben Jahren, in denen Mathmann in Köln und Berlin lebte und durch die Welt reiste, ist er nun zumindest an Werktagen wieder in der Domstadt und Universitätsmedizin. Viel habe sich verändert, geblieben seien „sehr positive Erinnerungen an meine Studentenzeit“. Nun kommen neue Erfahrungen hinzu, auch die Klinik sieht er aus einem anderen Blickwinkel. An einst liebgewonnenen Gewohnheiten – wie dem Spaziergang über den Wochenmarkt - hält der Arzt fest. Zwar freut er sich auf die kommende Zeit in der Klinik, aber genauso auf die Rückkehr zur Musik: „Mir fehlen diese künstlerische Arbeit und das Reisen für die Musik sehr“, seufzt er. „In jedem der beiden Berufen gibt es eben etwas, das mir nur der jeweils andere geben kann.“ Wie gut, dass der singende Arzt seine Lebenswelten vorerst nicht trennen muss.
Text: Stella Willmann
(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Basis der Serie ist das Absolventenregister von MedAlum.)