News

„Gewichtsreduktion kann zu Folgekrankheiten führen“: Medizinerin Laura Sophia Raschke über Straffungsoperationen

Im Anschluss an eine extreme Gewichtsreduktion folgt oftmals eine sogenannte postbariatrische Straffungsoperation (Foto: AdobeStock - ake1150)

Münster (upm/kk) - In Deutschland haben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts 46,6 Prozent der Frauen und 60,5 Prozent der Männer Übergewicht. Viele Betroffene entscheiden sich für einen medizinischen Eingriff zur Behandlung. Die Freude über die dadurch verlorenen Kilos wird durch die Auswirkungen der extremen Gewichtsreduktion getrübt, wie etwa durch einen erheblichen Hautüberschuss. Oft folgt deswegen eine sogenannte postbariatrische Straffungsoperation. Die Medizinerin Dr. Laura Sophia Raschke hat nun erstmals den Zusammenhang zwischen einer solchen Operation und dem Ausmaß der Lebensqualitätssteigerung erforscht. Über die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen sprach sie mit Kathrin Kottke.

Warum sind Übergewicht und Fettleibigkeit gefährlich?

Starkes Übergewicht stellt ein großes Risiko für die Gesundheit dar. Es können zum Beispiel Folgeerkrankungen wie Typ 2 Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einzelne Krebserkrankungen und Muskel- und Gelenkerkrankungen auftreten. Neben motorischen und Stoffwechselerkrankungen können auch psychische Erkrankungen wie Depressionen die Folge sein, die wiederum zu einer Verminderung der Lebensqualität führen. Zudem geht Übergewicht nachweislich mit einem höheren Risiko einher, frühzeitig zu sterben.

Ab wann spricht man von Adipositas?

Ob ein Mensch als adipös, fettleibig oder übergewichtig gilt, wird nach Gewicht und Größe berechnet, dem sogenannten Body-Mass-Index (BMI). Ab einem BMI von 30 spricht man von ‚Adipositas Grad I‘. Im Juli 2020 hat der Deutsche Bundestag Adipositas als eigenständige Krankheit anerkannt. Wichtig ist jedoch, dass der BMI nur ein Hinweis ist. Denn dieser Wert sagt wenig über den Anteil des Körperfetts am Gewicht aus: So kann ein Bodybuilder mit viel Muskeln und wenig Körperfett den gleichen BMI haben wie ein Mensch mit wenig Muskeln und viel Fett.

In jedem Fall entscheiden sich viele Menschen, ihr Gewicht zu reduzieren, möglicherweise sogar operativ. Was sind die häufigsten Motive, und was gibt es für Möglichkeiten?

Die Hauptmotivation sind die gesundheitlichen Risiken, sowohl die körperlichen als auch die psychischen. Zunächst sollte jeder, der sich dafür interessiert, mit Ernährungsmedizinern konsequent an seinen Essgewohnheiten und Verhaltensmustern arbeiten. Denn viele Prozesse rund um das Essen haben sich festgesetzt. Neben Diäten und Bewegungsprogrammen kann zudem eine Verhaltenstherapie den Betroffenen helfen, ihr Verhalten zu verändern oder neu zu erlernen und Rückfälle zu vermeiden.

Und wenn das nicht hilft?

Wenn alle konservativen Maßnahmen ausgeschöpft sind oder nur zum Teil erfolgreich sind, kann ein chirurgischer Eingriff in Frage kommen. Die sogenannte bariatrische Chirurgie ist ein in der Regel erfolgreicher operativer Eingriff am Magen-Darm-Trakt, etwa ein Magenband, zur langfristigen Gewichtsreduktion.

Kann es nach einem solchen Eingriff und anschließender Gewichtsreduktion zu Beeinträchtigungen kommen?

Stellen Sie sich vor, Sie lassen aus einem Ballon Luft raus. Das Gummi ist danach ausgeleiert und runzelig. Mit der Haut der Patienten kann etwas Ähnliches passieren: Das zuvor hohe Gewicht resultiert in irreversiblen Bindegewebs- und Weichteilschäden am gesamten Körper. Die überflüssigen Körperpfunde – meistens zwischen 50 und 100 Kilogramm – sind zwar verschwunden, doch die Haut ist stark überdehnt und hängt wie eine leere Hülle am Körper.

In diesem Fall spricht man von einer „Fettschürze“. Was hat das zur Folge?

Diese erheblichen Hautüberschüsse am Körper, an den Brüsten sowie an den Oberschenkeln und Oberarmen können zu funktionellen, hygienischen, orthopädischen, dermatologischen und ästhetischen Problemen und Folgekrankheiten führen. Dabei ist es egal, ob die Gewichtsreduktion durch Diäten oder magenverkleinernden Eingriffen erzielt wurde. Chirurgen empfehlen daher eine postbariatrische Straffungsoperation.

Was ist darunter zu verstehen?

Bei dieser körperstraffenden Operation steht die Wiederherstellung von Form und Funktion im Mittelpunkt. In Deutschland finden jährlich Hunderte solcher Eingriffe statt – Tendenz steigend. Es geht also nicht um eine rein ästhetisch motivierte Schönheitsoperation, sondern um einen medizinisch notwendigen Eingriff. Postbariatrische Straffungsoperationen ermöglichen den Patienten, sich wieder möglichst normal zu bewegen. Das wiederum trägt nachhaltig zum Erhalt der Gewichtsreduktion bei.

Das klingt plausibel und logisch. Übernehmen daher auch die Krankenkassen die Kosten einer solchen Operation?

Leider nein. Die Kassen übernehmen die Kosten gar nicht oder nur zum Teil. Ein Grund ist die unzureichende Studienlage zu den gesundheitlichen Effekten von postbariatrischen Straffungsoperationen. Meine Arbeit soll das ändern.

Dazu haben Sie den Zusammenhang zwischen einer solchen Operation und dem Ausmaß Steigerung bei der Lebensqualität untersucht. Warum ist das wichtig?

Bislang stehen keine Studienergebnisse zur Verfügung, die eine standardisierte quantitative Analyse der Lebensqualität bei Patienten nach massivem Gewichtsverlust betrachten. Dabei weiß man inzwischen, dass die Lebensqualität ein wichtiges Kriterium für den Erfolg medizinischer Therapien ist. Hier setze ich an. Ich habe auf Basis des sogenannten ‚Body-Q-Fragebogens‘ – ein krankheitsspezifisches Messinstrument – eine Umfrage entwickelt, an der 460 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnahmen. Dabei habe ich Personen mit und ohne Straffungsoperationen einander gegenübergestellt. Das Ergebnis ist eindeutig: Straffungsoperationen können die Lebensqualität von Patienten nach massivem Gewichtsverlust wiederherstellen und erheblich verbessern. Eine erfolgreiche Straffungsoperation kann eindeutig dazu beitragen, dass die Betroffenen mit dem eigenen Körperbild wieder zufriedener sind und dass sie wieder ein normales soziales Leben führen können.

Welche Parameter bestimmen vor allem die Zufriedenheit der Betroffenen?

Patienten, die sich einer Körperkonturierungsoperation unterzogen hatten, wiesen eine signifikant höhere Lebensqualität in Bezug auf Sexualität, Körperbild und psychosoziale Aspekte auf. Zudem konnte ich, unterteilt nach einzelnen Körperarealen, aufzeigen, dass der Zustand des Bauches und der Innenseite der Oberschenkel die Hauptursache für die eigene Körperunzufriedenheit ist. Die Bauchdeckenstraffung stellte sich als die wichtigste Operation für die Steigerung der Lebensqualität heraus.

Haben Sie Handlungsempfehlungen für die Praxis?

Bei körperstraffenden Operationen ist immer wichtig, dass Teams aus Allgemeinmedizinern, Chirurgen, Sport- und Ernährungsmedizinern sowie Psychologen und Physiotherapeuten betreuen. Nur durch einen solch umfassenden Blick auf eine gesunde Patientenentwicklung kann eine langfristige Gewichtsreduktion und die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper gewährleistet werden.

Bleibt die Frage nach der Übernahme der Kosten … 

Das ist tatsächlich eine mitentscheidende Herausforderung. Die Kostenübernahme für körperstraffende Operationen ist aus medizinischer Sicht unerlässlich. Bislang haben die Krankenkassen keine einheitlichen Bewertungskriterien. Die Beurteilung, ob Kosten übernommen werden oder nicht, erfolgt immer individuell und hängt stark vom jeweiligen Gutachter ab. Ich hoffe, dass meine Forschungsergebnisse zukünftig bei der Begutachtung berücksichtigt werden, damit das alltägliche Leben der Patienten wortwörtlich erleichtert wird.

Laura Sophia Raschke, geboren 1998 in Berlin, absolvierte 2022 ihr Humanmedizinstudium in Salzburg und promovierte anschließend an der Universität Münster. Seit Mai 2023 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistenzärztin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.