Diagnose Antarktis-Virus: Dr. Eberhard Kohlberg ist der Arzt mit dem wohl südlichsten Arbeitsplatz der Welt
Münster/Antarktis (mfm/ps) – Die erste Mail ging direkt ins ewige Eis – und erreicht ihn trotzdem: Dr. Eberhard Kohlberg ist Arzt und seit nunmehr 29 Jahren vom „Antarktis-Virus“ infiziert. Seine selbst gewählte Therapie für diese „Krankheit“: Kohlberg hat als Logistikmanager und Medical Officer den wohl südlichsten Arbeitsplatz der Welt. Der an der Universität Münster promovierte Mediziner arbeitet für das Alfred-Wegener-Institut (AWI), das die Polargebiete und Meere unseres Planeten erforscht. Insgesamt 22mal war er bislang als Arzt auf Polarstationen des Instituts und erlebte dort, aus größtmöglicher Ferne, sogar den Fall der Mauer 1989.
Wie kommt ein Mediziner dazu, in der Antarktis zu arbeiten? Nach dem Studium in Köln sowie Bremen und der Promotion an der WWU in Münster sollte es für den frisch gebackenen Chirurgen eigentlich in die entgegengesetzte Richtung gehen, zumindest klimatisch: Eberhard Kohlberg brauchte einen Tapetenwechsel und wollte daher in Afrika Entwicklungsdienst leisten. Allerdings ließ sich dieser Plan nicht gut mit seiner familiären Situation vereinbaren. Doch der Wunsch nach etwas Außergewöhnlichem blieb. Die Idee, sich in die karge Eiswüste zu begeben, kam schließlich von seiner Frau. Sie entdeckte im „Ärzteblatt“ eine Stellenzeige des Alfred-Wegener-Instituts, in der eine Stelle als Arzt und Leiter der Georg-von-Neumayer-Station in der Antarktis ausgeschrieben war – Überwinterung und 14 Monate Abwesenheit am Stück inklusive. „Ich habe mich mit meiner Familie besprochen und die meinte, dass wir das gewuppt bekommen“, erinnert sich Kohlberg. Der gebürtige Bernburger wurde genommen und so nahm das kalte Schicksal seinen Lauf.
Nach seinem ersten Eisabstecher kehrte er zwar wieder in den Krankenhausdienst in Delmenhorst zurück, aber die Antarktis hatte ihn im Griff. 1999 überwinterte Kohlberg ein zweites Mal – und entschied sich ein Jahr später, der aktiven Chirurgie Lebewohl zu sagen. Seitdem arbeitet der heute 70-jährige im Management des AWI. Er konzipierte den medizinischen Trakt der Neumayer-Station III und richtete eine telemedizinische Verbindung ein zum über 13.800 km entfernten Klinikum Bremerhaven.
Über die Verantwortung für das medizinische Equipment auf den Polarstationen und auf dem institutseigenen Schiff „Polarstern“ hinaus ist Dr. Kohlberg auch für die Logistik zuständig. Insgesamt 60 Tonnen Lebensmittel werden jährlich per Flugzeug oder Containerschiff gen Süden gebracht. Doch auch die beste Planung kann ins Stocken geraten: „In der Antarktis schlägt das Wetter manchmal sehr schnell um, sodass Versorgungsflugzeuge nicht landen können. Dann hilft nur eines: Ruhe bewahren und warten, bis es wieder aufklart,“ sagt Eberhard Kohlberg.
Damit die Expeditionsteilnehmer lernen, mit solchen Widrigkeiten umzugehen, werden sie in Kursen auf ihren Aufenthalt in der Eiswüste vorbereitet. „Alle Teilnehmer absolvieren eine Schulung in den Alpen. Dort wird die Rettung aus Gletscherspalten geübt und Biwakieren trainiert. „Außerdem achten wir darauf, wie die Gruppe zusammenarbeitet und wie die Teilnehmer die Belastung wegstecken“, erläutert Kohlberg, der die Vorbereitungskurse koordiniert und bei jedem Gletscherkurs mit von der Partie ist. Darüber hinaus gibt es für jede Berufsgruppe in der Besatzung Spezialkurse. So frischt beispielsweise der Arzt seine Kenntnisse in der Zahnheilkunde sowie der Anästhesie auf, während die Techniker mit den Pistenraupen vertraut gemacht werden.
Eine insgesamt neunköpfige Crew lebt und arbeitet auf der Neumayer-Station III in einer extrem lebensfeindlichen Umgebung mit wenig Kontakt zur Zivilisation. Die Bedingungen ähneln denen im Weltraum, weshalb die Antarktis oft als ‚Labor für das All‘ bezeichnet wird. „Daher gibt es mehrere Projekte, die wir zusammen mit der NASA oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt durchführen“, erläutert Kohlberg. Die jüngste Zusammenarbeit mit dem DLR hat er vonseiten des AWI mitkoordiniert: ‚Eden ISS‘ heißt das Vorhaben, bei dem in einem speziellen Gewächshaus ohne Erde und natürliches Licht Gemüse gezüchtet wird. Seit Anfang des Jahres steht das Gewächshaus unweit der Neumayer-Station III und bringt nun reiche Ernte ein, die in den fast komplett dunklen Wintermonaten eine höchst willkommene Abwechslung auf die Teller der Stationsmitglieder bringt.
Höchstwahrscheinlich wird dies eines der letzten Projekte von Eberhard Kohlberg sein. Die Arbeit habe immer großen Spaß gemacht, aber er sei doch langsam „ein wenig überfällig“, meint der Polarliebhaber. Die freie Zeit möchte er dann am liebsten für zwei Dinge nutzen: Familie und Segeln.
(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Porträt-Reihe "Köpfe der Fakultät" fort. Mehr zu dem Verein erfahren Sie hier.)