Vorbereitung auf den Tag, der hoffentlich nie kommt: Für Dr. Christa-Maria Krieg ist der Berufsalltag eine Katastrophe
Münster (mfm/sw) – Atombomben, Hochwasser, Flugzeugabsturz: Die Namen wechseln, die Katastrophen bleiben – jedenfalls in den Köpfen. Fürchteten sich im Kalten Krieg die Deutschen vor allem vor einem „Angriff von Osten“, sind es heute eher Pandemien, Naturkatastrophen oder schwere Unglücke wie der ICE-Crash von Eschede, die den Ernstfall definieren. Für solche Fälle braucht es Konzepte – und somit Menschen wie Dr. Christa-Maria Krieg. Die Medizinerin ist Referatsleiterin im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz BBK, und macht Pläne für den Notfall. Dass ihre Arbeit darin besteht, Strategien vorzubereiten, die hoffentlich nie Realität werden, stört sie nicht - die Alumna der Medizinischen Fakultät der Universität Münster (WWU) ist im öffentlichen Dienst alles andere als gelangweilt.
Der berufliche Werdegang scheint für Medizinerinnen und Mediziner festgeschrieben: Studium, Facharztausbildung und schließlich die eigene Praxis oder alternativ die Karriereleiter im Krankenhaus erklimmen. Den öffentlichen Dienst haben viele nicht auf dem Schirm, auch Christa-Maria Krieg nicht, deren Planung anders aussah – bis zum Jahr 2000, als die Fachärztin für Anästhesiologie im globalen Süden ehrenamtlich humanitäre Hilfe leistete. „Mit Ärzte ohne Grenzen war ich zweimal unterwegs, in Westafrika und in Gaza. Für mich war dies der entscheidende Impuls und erste Schritt, der Individualmedizin den Rücken zu kehren und mich der Kriegs- und Notfallmedizin zu widmen.“ Berufsbegleitend absolvierte Krieg 2006 das Aufbaustudium „Public Health“, was den Weg zum BBK und der öffentlichen Gesundheit ebnete. Die Abschlussarbeit schrieb sie bei WWU-Alumnus und FH-Professor Joachim Gardemann, der für seine humanitären Hilfseinsätze rund um den Globus bekannt ist. Nach dem Studienende startete sie im BBK als Referentin für Katastrophenmedizin, seit 2008 ist sie Referatsleiterin.
Dr. Kriegs Hauptaufgabe: der konzeptionelle Ausbau der Medizinischen Task Force (MFT). Diese soll den überörtlichen Sanitätsdienst im Katastrophen- und Zivilschutz unterstützen – das bedeutet konkret: Die MFT ist nicht für den Einsatz vor Ort bestimmt, sondern für überörtliche Hilfeleistungen im Falle eines sogenannten „Massenanfalls von Verletzten“. Damit kommt die MFT nur in besonders schweren Fällen zum Einsatz, zum Beispiel, wenn Kommunikations- und Versorgungsstrukturen zerstört und die Sanitätsdienste überlastet sind. Christa-Maria Krieg verarztet und behandelt nicht selbst: „Ich bin hauptsächlich für die konzeptionelle Planung zuständig. Das heißt: Drei Viertel meiner Arbeit läuft am Schreibtisch, nur der Rest ist tatsächliche Übung“.
Stichwort „tatsächliche“ Übung: Das meint das Testen von Konzepten für den Ernstfall, so auf einem Übungsplatz. Einer liegt in Ahrweiler, auf dem Gelände der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz, und wird regelmäßig für die Ausbildung der Einsatzkräfte genutzt. „Große Übungen erfordern viel Vorbereitung und sind teuer, daher machen wir sie nur alle paar Jahre“, erklärt Krieg. „Dazwischen laufen regelmäßig Teilübungen, in denen wir bestimmten Fragestellungen auf den Grund gehen und testen, ob unsere Vorstellungen auch in der Praxis funktionieren – zum Beispiel üben wir die Dekontamination von Verletzten in chemischen, biologischen oder radiologischen Gefahrenlagen“. Das wissenschaftliche Team der MFT arbeitet interdisziplinär: Neben Dr. Krieg gehören Mediziner, Rettungsingenieure, Physiker und Geographen dazu.
Für das Funktionieren des Bevölkerungsschutzes ist das BBK auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen – und das Ehrenamt wiederum auf Nachwuchs. Dass dieses Prinzip nicht von allein funktioniert, weiß Dr. Krieg: „Ohne das Ehrenamt werden wir unsere Ausstattung nicht wirksam einsetzen können. Daher versuchen wir, durch neueste Technik, Ausbildungen und wissenschaftliche Begleitung - wie die Telemedizin – die Mitarbeit attraktiv zu machen“, so die Anästhesistin.
Die gebürtige Sauerländerin besucht ihre Universitätsstadt selten, doch immer noch gern – „nicht zuletzt, weil Münster über einen sehr guten Gefahrenschutz verfügt“, schmunzelt sie. Nach dem Dr. Krieg 1992 ihr Medizinstudium erfolgreich abschloss, entschied sie sich zunächst für die Arbeit im Krankenhaus. Der Wechsel nach Bonn zum BBK war die richtige Entscheidung, findet die 56-Jährige: „An meiner Arbeit schätze ich besonders den interdisziplinären Austausch und die Möglichkeit, neue Standards im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz zu etablieren“, erklärt die Anästhesistin, „Das ist aber nur möglich, wenn man auf den aktuellen Stand der Individualmedizin aufbaut“. Die Mischung macht’s – und ist das, was die WWU-Alumna täglich motiviert.
Text: Stella Willmann
(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Basis der Serie ist das Absolventenregister von MedAlum.)