Arbeitsgruppe Boentert
Neuromuskuläre Erkrankungen (NME) sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen der Skelettmuskulatur, des peripheren Nervensystems oder der motorischen Endplatte. Klinische Kennzeichen sind je nach Erkrankung sensible Symptome und vor allem eine wechselnd stark ausgeprägte Muskelschwäche.
Bei Menschen mit NME kann ein gestörter oder unerholsamer Schlaf durch nächtliche Schmerzen oder Muskelkrämpfe bedingt sein, aber auch durch das Restless-Legs-Syndrom und insbesondere durch schlafbezogene Atmungsstörungen. Viele NME gehen mit einem erhöhten Risiko für das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom einher. Hierbei kommt es zu nächtlichen Atempausen, welche die Sauerstoffversorgung des gesamten Körpers verschlechtern, die Schlafarchitektur stören und eine gesteigerte Schläfrigkeit am Tag nach sich ziehen können. Eine Vielzahl von NME ist zudem mit einer Beteiligung der Atemmuskulatur verbunden. Diese macht sich zuerst nachts bemerkbar, wenn es während des Schlafes und in liegender Position bereits bei Gesunden zu einer leichten Abflachung der Atmung kommt, welche bei Vorliegen einer manifesten Zwerchfellschwäche ein Ausmaß erreicht, das keine hinreichende Abatmung von Kohlenstoffdioxid mehr erlaubt. Hieraus resultieren häufig schwere Durchschlafstörungen, morgendliche Kopfschmerzen sowie Schläfrigkeit und Abgeschlagenheit am Tag. Diese schlafbezogene Hypoventilation stellt besonders bei PatientInnen mit verschiedenen Muskel-dystrophien oder amyotropher Lateralsklerose (ALS) ein häufiges und schwerwiegendes Problem dar, das wesentlichen Einfluss auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität und die Lebenserwartung hat.
Die kardiorespiratorische Polysomnographie oder Polygraphie in Verbindung mit einem nächtlichen transkutanen CO2-Monitoring stellt den diagnostischen Goldstandard zur Feststellung einer schlafbezogenen Hypoventilation dar. In der neurologischen Versorgung von PatientInnen mit NME ist darüber hinaus die Messung der Atemmuskelkraft wichtig, um die Notwendigkeit einer weiterführenden Diagnostik im Schlaflabor abschätzen zu können. Diagnostische Methoden zur Erkennung der Atemmuskelschwäche lassen sich in mitarbeitsabhängige (volitionale) und mitarbeitsunabhängige (nicht-volitionale) Verfahren einteilen. Die volitionale Bestimmung z. B. der Vitalkapazität und des maximalen in- und exspiratorischen Mundverschlussdrucks wirft das Problem auf, dass in der Regel nur (hoch-) normale Werte eine klinisch bedeutsame Atemmuskelschwäche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen können. Werte unterhalb eines nicht pathologischen Grenzwertes bereiten dagegen häufig Schwierigkeiten bei der Interpretation. Daher wurden und werden in unserer Arbeitsgruppe nicht-volitionale Verfahren zur Messung von Atemmuskelkraft und Zwerchfellfunktion eingesetzt und evaluiert.
Liegt bei PatientInnen mit NME eine behandlungsbedürftige schlafbezogene Hypoventilation vor, ist die druckkontrollierte, zeit- und ggf. auch volumengesteuerte nicht-invasive Heimbeatmung (NIV) die Therapie der Wahl. Zu den Behandlungszielen gehören die objektive Normalisierung der Ventilation im Schlaf, aber auch eine Verbesserung der subjektiven Schlafqualität, der Wachheit am Tage und der hierdurch möglichen Teilhabefähigkeit. Gerade angesichts der Tatsache, dass viele NME nach wie vor nicht kausal oder gar kurativ behandelbar sind, stellt die NIV bei entsprechender Indikationsstellung eine Säule der symptomorientierten Therapie dar. Die wissenschaftlichen Fragestellungen, die unsere Arbeitsgruppe in diesem Kontext bearbeitet, konzentrieren sich auf Aspekte der Therapieadhärenz und der langfristigen Auswirkungen einer regelmäßigen NIV.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer wissenschaftlichen Arbeit ist es, die Art und Häufigkeit von Schlafstörungen bei PatientInnen mit verschiedenen NME zu erfassen. Hierbei kommen neben der oben beschriebenen Schlaflabordiagnostik auch patient-reported outcomes, d. h. validierte Fragebögen zu Schlafstörungen und schlafbezogenen Symptomen zum Einsatz.
Über die Berührungspunkte zwischen den Themenfeldern Neuromuskuläre Medizin und Schlafmedizin hinaus ist unsere Arbeitsgruppe eingebunden in mehrere nationale wie internationale multizentrische Studien im Bereich der NME. Hierbei handelt es sich einerseits um kontrollierte Therapiestudien, andererseits aber auch um diagnostisch ausgerichtete Studien.
Aktuelle Forschungsprojekte
- Pathophysiologie der Atemmuskelbeteiligung bei Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen
- Validierung des Single Breath Count Tests (SBCT) zur Abschätzung der inspiratorischen Atemmuskelkraft
- Schlaf- und Atmungsstörungen bei Patienten mit spinaler und bulbärer Muskelatrophie Typ Kennedy
- Stellenwert von klinischem Phänotyp und nicht-invasiver Heimbeatmung als Prädiktoren des Krankheitsverlaufs bei PatientInnen mit amyotropher Lateralsklerose (ALS)
Ausgewählte Publikationen
Engel M, Glatz C, Helmle C, Young P, Dräger B, Boentert M (2021) Respiratory parameters on diagnostic sleep studies predict survival in patients with amyotrophic lateral sclerosis. J Neurol. doi.org/10.1007/s00415-021-10563-0.
Requardt MV, Görlich D, Grehl T, Boentert M (2021) Clinical Determinants of Disease Progression in Amyotrophic Lateral Sclerosis - A Retrospective Cohort Study. J Clin Med 10. doi.org/10.3390/jcm10081623.
Spiesshoefer J, Herkenrath S, Henke C, Langenbruch L, Schneppe M, Randerath W, Young P, Brix T, Boentert M (2020) Evaluation of Respiratory Muscle Strength and Diaphragm Ultrasound: Normative Values, Theoretical Considerations, and Practical Recommendations. Respiration 99: 369–381.
Boentert M, Cao M, Mass D, De Mattia E, Falcier E, Goncalves M, Holland V, Katz SL, Orlikowski D, Sannicolò G, Wijkstra P, Hellerstein L, Sansone VA (2020) Consensus-Based Care Recommendations for Pulmonologists Treating Adults with Myotonic Dystrophy Type 1. Respiration 99: 360–368.
Boentert M (2019) Sleep disturbances in patients with amyotrophic lateral sclerosis: current perspectives. Nat Sci Sleep 11: 97–111.
Henke C, Spiesshoefer J, Kabitz H-J, Herkenrath S, Randerath W, Brix T, Görlich D, Young P, Boentert M (2020) Characteristics of respiratory muscle involvement in myotonic dystrophy type 1. Neuromuscul Disord 30: 17–27.
Spiesshoefer J, Henke C, Herkenrath S, Randerath W, Brix T, Young P, Boentert M (2019) Assessment of Central Drive to the Diaphragm by Twitch Interpolation: Normal Values, Theoretical Considerations, and Future Directions. Respiration 98: 283–293.
Spiesshoefer J, Henke C, Herkenrath SD, Randerath W, Brix T, Görlich D, Young P, Boentert M (2019) Non-invasive Prediction of Twitch Transdiaphragmatic Pressure: Insights from Spirometry, Diaphragm Ultrasound, and Phrenic Nerve Stimulation Studies. Respiration 98, 301–311.
Spiesshoefer J, Henke C, Kabitz HJ, Brix T, Gorlich D, Herkenrath S, Randerath W, Young P, Boentert M (2019) The nature of respiratory muscle weakness in patients with late-onset Pompe disease. Neuromuscul Disord 29: 618–627.
Boentert M, Glatz C, Helmle C, Okegwo A, Young P (2018) Prevalence of sleep apnoea and capnographic detection of nocturnal hypoventilation in amyotrophic lateral sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 89: 418–424.
Die vollständige Literaturliste von Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Boentert bei Pubmed.
Kooperationen
UKM-intern
- PD Dr. Michael Mohr, Medizinische Klinik A
extern
- Prof. Dr. Winfried Randerath, Krankenhaus Bethanien, Solingen
- Prof. Dr. Hans-Joachim Kabitz, Klinik für Pneumologie, Klinikum Konstanz
- Dr. Jens Spießhöfer und Univ.-Prof. Dr. Michael Dreher, Medizinische Klinik V, Universitätsklinikum Aachen
- PD Dr. Angela Rosenbohm, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Ulm
- Prof. Dr. Thomas Meyer, Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin
- Dr. Isabel Cordts und Prof. Dr. Paul Lingor, Klinik für Neurologie, Klinikum der TU München
- Dr. Torsten Grehl, Klinik für Neurologie, Alfried-Krupp-Krankenhaus Essen
- Prof. Dr. Alberto Giannoni, Institute of Life Sciences, Scuola Superiore di Studi Universitari e di Perfezionamento Sant´Anna, Pisa, Italien
Klinische und diagnostische Studien
• Amyotrophe Lateralsklerose
• Morbus Pompe
• Post-Polio-Syndrom
• Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT1A)